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Emotionen

Matthias Uhlich • Okt. 20, 2022


Teisho Emotionen




In letzter Zeit bin ich in Gesprächen immer wieder zum Thema Emotionen gefragt worden, und so möchte ich in meinem Teisho heute zu diesem Thema einige Gedanken versuchen. 


In der ZEN Tradition gibt es für den Umgang mit Gedanken und Emotionen, die ja manchmal auch ineinander gehen, sehr klare Anweisungen. 

Dieses berühmte Wort Katsu!/Kats meint abschneiden, hinter sich lassen.

Und dieses „Abschneiden“ sagt der Meister seinem Schüler, (manchmal auch verbunden mit dem Einsatz seines Stockes).

Sicher mag das immer wieder hilfreich sein, wenn es darum geht aus „den Hamsterrädern" unserer Gedanken und Gefühle auszusteigen und den Kopf und das Herz, die Seele aus ständig bedrängenden und bedrückenden Gefühlen wieder freizubekommen.

Manche von euch kennen es auch ganz gut, wie man sich in bestimmte Dinge oder Emotionen hineinsteigern kann und wie schwierig es ist, da wieder rauszufinden, weil ein Gedanke den anderen jagt und es oftmals nicht leicht ist, aus der bedrängenden Enge herauszukommen.

Da kann es helfen, wenn uns jemand von aussen sagt, gehe in deine Übung und versuche mit ihrer Hilfe aus dem „Hamsterrad“ der vielen Gedanken und emotionalen Verstrickungen rauszukommen: Katsu, schneide all das Viele und Verwirrende ab.


Es gibt aber auch noch eine andere Erfahrung mit den Emotionen, wenn sie uns mit einmal aus einer Tiefe überfallen und wir ihre ungeheure Kraft und Gewalt zu spüren bekommen.

Da merken wir, wie sehr die Gefühle, unser Gefühlsleben zu uns gehören.

Wir merken auch, wie elementar und kraftvoll sie sind und wie bedingungslos sie oftmals an uns herantreten. Da scheint ein rational, logisches „Abschneiden“ nicht mehr möglich, weil eine ganz urwüchsige Kraft in uns aufbricht und nach aussen will. 

Wir können dieses so ganz elementare Aufbrechen von Gefühlen nicht klein reden oder klein denken - auch nicht abschneiden.

Das wäre auch nicht gut.

Denn Emotionen sind so etwas wie Hinweisschilder, die auf etwas zeigen, was sich in uns verbirgt, und wahrgenommen, gesehen werden will und gelöst/integriert werden möchte.

Da wäre ein Abschneiden im Sinne von Katsu nicht gut, ja vielleicht auch gar nicht möglich. Und vielleicht käme das dem auch sehr nahe, was in der Psychologie mit Verdrängung beschrieben wird.


Wie sollen wir aber damit umgehen, wenn uns Emotionen erfassen?


Menschen, die den mystischen Weg gehen, erfahren ihr Leben auf „zwei Ebenen“, die nicht voneinander getrennt sind, sondern in einer eigenartigen Weise ineinander verwoben sind und als zusammengehörig erlebt werden.

Da ist unser alltägliches Leben mit all seinen Auf‘s und Ab‘s, wo wir fröhlich und glücklich sind, aber auch die Erfahrungen von Enttäuschung und Verletzungen machen.

Gleichzeitig erfahren wir eine andere Ebene, auf der wir uns tief verbunden mit allem LEBEN und allem Sein fühlen und aus der heraus wir manchmal diesen umtriebigen, unruhigen Geist, der uns immer wieder antreibt und am Laufen hält, wahrnehmen.

Einige von euch kennen in diesem Zusammenhang mein Bild vom Meer und dem Sturm.

Wenn auf einem Ozean ein Sturm ist, dann kann dieser die Wellen zum Teil meterhoch peitschen. Aber einige Meter weiter unten wird man vom Sturm kaum noch etwas wahrnehmen. Und ganz tief am Grund des Meeres ist nur noch Stille, Ruhe, reines Gewahrsein.

Das Meer ist aber eins. Sowohl der Sturm an seiner Oberfläche als auch die tiefe Ruhe am Meeresgrund gehören zum Meer dazu. Und es kommt nun darauf an wohin wir mit dem Bewusstsein gehen, nach oben, dort wo der Sturm tobt oder in die Tiefe, dort wo Ruhe und Frieden ist.

Wo sind wir, wenn der Sturm der Emotionen über uns hereinbricht?

Nehmen wir nur den Sturm wahr oder können wir auch die Tiefe, die Ruhe und den Frieden, in uns spüren, die ja auch da sind, und vielleicht zu ihnen in Kontakt kommen?


Ihr merkt es, worum es mir geht.

Eben nicht darum, irgendetwas, was an Emotionen in uns aufbricht, abzuschneiden oder gar zu verdrängen.


Ich weiss, dass für manche die Vorstellung einer reifen Zen-Persönlichkeit die ist, dass dieser Mensch jenseits aller menschlichen Bezüge und Regungen vollkommen unberührt in sich ruht und durch die Welt und das Leben geht.

Ich weiss nicht, ob es jemals eine solche Zen-Persönlichkeit gegeben hat?

Ich glaube aber, dass dies nicht mit Zen gemeint ist. 

Unsere Zen-Übung ist die des Mitgefühls und des sich berühren lassens und andere zu berühren.


Und in diesem Zusammenhang scheinen mir die Emotionen sogar sehr wichtig.

Wichtig, dass wir uns berühren lassen, weil wir dadurch etwas erfahren, was in unserer Tiefe schlummert und an die Oberfläche kommen will, sich zeigen möchte. 

Und manchmal geschieht dies wie auf dem Meer, dass ein Sturm aus heiterem Himmel losbrechen kann. Mit einem Mal werden wir von einer Kraft mit grosser Intensität durchflutet - und wie es scheint auch weggerissen.

Wie sollen wir dann damit umgehen?

Es sein lassen, wäre mein Vorschlag.

Und wir können dieses SEIN LASSEN in seiner Doppeldeutigkeit nehmen.

Sein lassen in dem Sinne, dass wir es zulassen, dass wir es aushalten, was jetzt so mit uns geschieht. Uns darin aushalten, das fordert uns oft ganz. Aber wir werden merken, wenn es uns gelingen kann, diesen elementaren Kräften standzuhalten, dass dann der Sturm sich legt und zur Ruhe kommt.

Und dann kann das Sein lassen auch noch in einem anderen Sinne geschehen, nämlich, dass wir es auch wieder ziehen lassen können. So wie der Sturm auf dem Meer plötzlich lostoben kann, sich aber auch wieder legt und die Wolken und die Kraft des Windes weiter ziehen, so lassen wir uns nicht in dieses Toben des Sturmes der Gefühle hineinziehen, sondern wissen, dass eben gerade auch dies mit dazu gehört und sich lösen wird.


Worum es mir in unserer Übung geht, ist jenen schmalen Grat zwischen abschneiden von Gefühlen und sich ganz in ihren Bann ziehen zu lassen, wahrzunehmen. 

Auch dazu kennt ihr meinen Gedanken, lasst die Dinge da sein, nehmt sie wahr, aber lasst euch nicht in ihren Bann ziehen, sondern versucht immer den Abstand des/der Beobachters/in zu halten. Lasst sie „in der zweiten Reihe sitzen“ und wenn es uns gelingen kann, diese Erfahrungen mit dem tiefen Grund unserer Existenz zu verbinden, so kann etwas heilen/erlöst werden - oder in der psychologischen Wendung, können all die Dinge, die uns so bedrängen integriert werden.


Das Meer ist eins und es wird darum gehen, uns in dieser Einheit zu spüren und leben zu lernen.


Denn, so glaube ich, dass die Emotionen uns auch unsere grossen Kräfte zeigen.


Das Erleben von Liebe, die meisten von euch kennen es, ist eine enorme Kraft. Und auch die Verkehrung der Liebe in Hass, ist eine nahezu unheimliche Energie. Und vielleicht speisen sich Beide aus einer ihnen gemeinsamen Urkraft, die sich einmal als Liebe und zum anderen Male als Eifersucht oder Hass zeigt.


Wenn wir einmal aufhören zu werten, dann kommt hinter allem jene grosse, unmittelbare Kraft des Lebens zum Vorschein.


Jene Kraft, die uns durchströmt und klärt und reinigt und weiterführt und uns mit allem verbindet. Mystiker nennen diese Kraft LIEBE. Und vielleicht können wir der nur wirklich begegnen, wenn wir rauskommen aus dem Werten und Sortieren in Angenehm und Unangenehm; aus dem Richtig und Falsch und Gut und Böse.


Unser Leben umfasst alles, so wie das Meer auch tiefe Stille und den Sturm und die strahlende Sonne und Wärme und erfülltes Leben symbolisieren kann.


All das aber werden wir nur erfahren können, wenn alles sein darf. Wenn wir nicht mehr unterscheiden und unseren Weg wagen, der so und nicht anders zu uns gehört. 

Ihr merkt es, da geht es nicht mehr darum auszuwählen und auch nicht um Anständigkeit, sondern um die ganz elementare Erfahrung von Lebendigkeit und Leben, das weder gut noch böse ist - das sind nur oftmals ängstlich-kindliche Zuordnungen – sondern das in seiner Tiefe und Weite und Schönheit gelebt werden will.


Dies so zu verstehen, kann uns helfen Emotionen wahr-zu-nehmen, ohne sie abzuschneiden. Denn, ich habe es bereits gesagt, sie weisen uns auf etwas hin, was in uns da ist und gesehen, wahrgenommen werden will.


Und so lasst uns noch einen Blick auf das tun was da so aufsteigt und sich zeigt.

Meist sind es sehr alte Dinge, die sich da melden.


Manchmal sind es alte Verletzungen und daraus entstandene Wunden, die mit einem Male wieder da sind - manchmal durch andere ausgelöst, die unsere „Knöpfe“ drücken - und in uns kommt Wut, Hass, aber auch das Gefühl von Ohnmacht auf und damit oft verbunden, werden in uns Aggression und Widerstand wach.

Leicht können wir dann auch in Panik geraten und erstarren oder wir fangen an wild zu gestikulieren und zu agieren.


Und in solchen Situationen spüren wir oft noch einmal die Wucht und die ungeheure Kraft, die hinter diesen Regungen stecken kann. Ja, wie wir manchmal im ganz wörtlichen Sinne ausser uns geraten, in eine Ekstase kommen, die uns wegzuschwemmen droht.


Darum haben auch viele Menschen Angst vor Emotionen, weil sie glauben, dass sie dann ausser sich, ausser Kontrolle geraten könnten.


Wenn wir mit unseren Gefühlen in Kontakt kommen, machen wir oft die Erfahrungen, dass diese tief in unserer Kindheit verwurzelt sind.


Ich möchte das am Beispiel der Tränen einmal versuchen zu sagen. 


Wir haben Tränen aus Zorn und Wut und Enttäuschung, die wir wohl sehr gut aus unserer Kindheit kennen. 


Wir weinen aber auch, wenn wir von etwas ergriffen sind. 

Immer wieder haben es mir Menschen erzählt, wie sie in und von der Natur rief angerührt waren, von einer Blume oder bei einem Sonnenuntergang, so dass ihnen die Tränen kamen.

Aber auch bei Abschieden, die mit Trauer und Wehmut verbunden sind. 

Oder wenn wir dem Glück und der Freude begegnen, sind es die Freudentränen, die uns von einem tiefen Berührtsein sagen.


Ihr merkt, unsere Gefühle haben uns Wichtiges über uns mitzuteilen.

Sie weisen uns auf Dinge hin, die noch wahr-genommen werden wollen und spülen manchmal tief Verborgenes in uns hoch.


Da ist auch die Erinnerung an sehr glückliche Stunden, in denen wir der Fülle, der Schönheit und tiefen Verbundenheit unseres Daseins begegnet sind. 

Jenes ganz unmittelbare Erleben von Vitalität und Einssein mit allem, was ist.


Auch diese Erfahrung ist tief in uns verankert und reicht weit in unsere Kindheit zurück, in jene Phase, in der wir noch ganz unmittelbar am Leben dran waren. 

Wo die meisten von uns jene zweckfreie Liebe erfahren haben, in der wir nur um unser selbst geliebt wurden und wo es nicht not-wendig war, etwas zu leisten oder Besonderes zu sein, sondern es genügte, dass wir da waren. Wir waren, um unser selbst geliebt, brauchten nichts zu sein, nichts zu leisten.


Auch an diese Erfahrung erinnern uns unsere Gefühle und wecken in uns die Sehnsucht.


Und genau an dieser Sehnsucht wird deutlich, dass es wichtig ist, die Gefühle wahrzunehmen, sich aber nicht in sie hinein ziehen zu lassen.


Es ist wichtig, dass diese Sehnsucht uns weiter nach „vorne“ zieht und wir nicht zurückfallen in jene infantile Phase unserer Kindheit.


Und das gilt auch für die anderen Erfahrungen von Verletzung oder schmerzlichen Verlusten. Auch die gehören der Vergangenheit an und grätschen manchmal unangemeldet ins Jetzt.


In unserer Übung geht es nun darum, die „Mitte“ zu halten. Wahrzunehmen was war und uns aber nicht da rein ziehen zu lassen. Nicht von den Emotionen davon tragen zu lassen.


Sie aber auch nicht zu verdrängen, wegzuschieben, uns taub und hart zu machen.


Ein Therapeut hat in diesem Zusammenhang einmal von den „Zen-Leichen“ gesprochen. 

Also jene Zen-Übende, die meinen Zen wäre, dass man alles abschneidet und am Ende jener armselige „Tofu-Roshi“ entsteht, der ohne Höhen und Tiefen vermeintlich seinen geraden Weg geht.

Das hat nichts mit Zen zu tun.


Es gibt ein Koan, das in schöner Weise unseren Übungsweg thematisiert:

Um der Anforderung an einen Zen-Schüler gerecht zu sein, muss ich auf diesem schmalen Bergpfad mit 99 Kurven geradeaus gehen.

Sind wir mit diesem Koan nicht sehr nahe an unserer Wirklichkeit, an unserem Alltag dran? Und zeigen die 99 Kurven nicht auch die Schönheit und Fülle und Weite, die gerade ein Leben, dass das was gegensätzlich erscheint aufnehmen und als grosse Vielfalt und Reife erfahren kann.


Das Koan sagt es sehr schön, der Pfad, auf dem wir gehen, ist schmal und mal rutschen wir auf der einen und ein andermal auf der anderen Seite ab. 

Manchmal werden wir in unsere Emotionen hineingezogen und beginnen unsere „Drehbücher zu schreiben“ und wenn wir es merken, können wir wieder zurück zu unserer Übung kehren. Und dabei haben wir noch etwas über uns erfahren, was alles in uns vorgehen kann.

Die andere Seite ist, dass wir manchmal beschämt uns wahrnehmen in dem, was wir alles in uns tragen und all die Dinge gerne abschneiden möchten. Die Folge davon wäre, dass wir uns taub und stumpf machen. Aber wie soll ein Mensch, der die Gefühle abschneidet, Mitgefühl haben können?

Mir scheint in diesem Zusammenhang wichtig, dass wir uns einmal auf der einen und der anderen Seite bewusst wahrnehmen, denn nur so können wir jenen mittleren Weg, den Buddha gelehrt hat mehr und mehr finden und gehen lernen.


Ein Text noch zum Schluss:


….. es ist eine Kraft, die tief in meine Seele zieht

und ihre Räume sucht.


Resonanzen klingen und schwingen -

Leben in grosser Vielfalt durchzieht mich.


Mein Leben ist Bewegung in unendlichen

immer neuen Fragen und Antworten,

die Neues wecken

und Altes neu gebären:

bist du bereit mitzufliessen, mit zu leben, mit zu tanzen?


Manchmal stockt der Atem mir.

Bin ich wirklich bereit mich dem Leben zu öffnen,

den Tanz mit zu tanzen,

in so unendlicher Vielfalt der Klänge und Stimmungen?


Werde ich bereit sein können zu lieben?

Das zu lieben, was sich zeigt

in ihrer so unermesslichen Fülle?

Wird sie sich ereignen, 

die Liebesbeziehung mit dem LEBEN,

mit dem Kommen und Gehen?

Werde ich Leben sein?


Jede Regung in mir, führt mich auf den Weg.

Den Weg zu mir,

in den Urgrund aller Bewegung, aller Schwingung:

DER STILLE


Verschwebende Stille, deren Klang mir sagt:

du bist angekommen,

nun gehe weiter ….





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