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Zen-do-Mu Teishos + News

Lesen Sie hier regelmäßig neue Vorträge (Teishos), sowie Berichte und Neuigkeiten aus unserem Übungs-Alltag im Zen-do-MU!

von Matthias Uhlich 01 Feb., 2024
Teisho Trennung
von Matthias Uhlich 01 Nov., 2023
Teisho Schuld und Vergebung
von Matthias Uhlich 01 Okt., 2023
Teisho Veränderung und Wandlung
von Matthias Uhlich 01 Sept., 2023
Teisho Liebe I
von Matthias Uhlich 20 Okt., 2022
T eisho Emotionen  In letzter Zeit bin ich in Gesprächen immer wieder zum Thema Emotionen gefragt worden, und so möchte ich in meinem Teisho heute zu diesem Thema einige Gedanken versuchen. In der ZEN Tradition gibt es für den Umgang mit Gedanken und Emotionen, die ja manchmal auch ineinander gehen, sehr klare Anweisungen. Dieses berühmte Wort Katsu!/Kats meint abschneiden, hinter sich lassen. Und dieses „Abschneiden“ sagt der Meister seinem Schüler, (manchmal auch verbunden mit dem Einsatz seines Stockes). Sicher mag das immer wieder hilfreich sein, wenn es darum geht aus „den Hamsterrädern" unserer Gedanken und Gefühle auszusteigen und den Kopf und das Herz, die Seele aus ständig bedrängenden und bedrückenden Gefühlen wieder freizubekommen. Manche von euch kennen es auch ganz gut, wie man sich in bestimmte Dinge oder Emotionen hineinsteigern kann und wie schwierig es ist, da wieder rauszufinden, weil ein Gedanke den anderen jagt und es oftmals nicht leicht ist, aus der bedrängenden Enge herauszukommen. Da kann es helfen, wenn uns jemand von aussen sagt, gehe in deine Übung und versuche mit ihrer Hilfe aus dem „Hamsterrad“ der vielen Gedanken und emotionalen Verstrickungen rauszukommen: Katsu, schneide all das Viele und Verwirrende ab. Es gibt aber auch noch eine andere Erfahrung mit den Emotionen, wenn sie uns mit einmal aus einer Tiefe überfallen und wir ihre ungeheure Kraft und Gewalt zu spüren bekommen. Da merken wir, wie sehr die Gefühle, unser Gefühlsleben zu uns gehören. Wir merken auch, wie elementar und kraftvoll sie sind und wie bedingungslos sie oftmals an uns herantreten. Da scheint ein rational, logisches „Abschneiden“ nicht mehr möglich, weil eine ganz urwüchsige Kraft in uns aufbricht und nach aussen will. Wir können dieses so ganz elementare Aufbrechen von Gefühlen nicht klein reden oder klein denken - auch nicht abschneiden. Das wäre auch nicht gut. Denn Emotionen sind so etwas wie Hinweisschilder, die auf etwas zeigen, was sich in uns verbirgt, und wahrgenommen, gesehen werden will und gelöst/integriert werden möchte. Da wäre ein Abschneiden im Sinne von Katsu nicht gut, ja vielleicht auch gar nicht möglich. Und vielleicht käme das dem auch sehr nahe, was in der Psychologie mit Verdrängung beschrieben wird. Wie sollen wir aber damit umgehen, wenn uns Emotionen erfassen? Menschen, die den mystischen Weg gehen, erfahren ihr Leben auf „zwei Ebenen“, die nicht voneinander getrennt sind, sondern in einer eigenartigen Weise ineinander verwoben sind und als zusammengehörig erlebt werden. Da ist unser alltägliches Leben mit all seinen Auf‘s und Ab‘s, wo wir fröhlich und glücklich sind, aber auch die Erfahrungen von Enttäuschung und Verletzungen machen. Gleichzeitig erfahren wir eine andere Ebene, auf der wir uns tief verbunden mit allem LEBEN und allem Sein fühlen und aus der heraus wir manchmal diesen umtriebigen, unruhigen Geist, der uns immer wieder antreibt und am Laufen hält, wahrnehmen. Einige von euch kennen in diesem Zusammenhang mein Bild vom Meer und dem Sturm. Wenn auf einem Ozean ein Sturm ist, dann kann dieser die Wellen zum Teil meterhoch peitschen. Aber einige Meter weiter unten wird man vom Sturm kaum noch etwas wahrnehmen. Und ganz tief am Grund des Meeres ist nur noch Stille, Ruhe, reines Gewahrsein. Das Meer ist aber eins. Sowohl der Sturm an seiner Oberfläche als auch die tiefe Ruhe am Meeresgrund gehören zum Meer dazu. Und es kommt nun darauf an wohin wir mit dem Bewusstsein gehen, nach oben, dort wo der Sturm tobt oder in die Tiefe, dort wo Ruhe und Frieden ist. Wo sind wir, wenn der Sturm der Emotionen über uns hereinbricht? Nehmen wir nur den Sturm wahr oder können wir auch die Tiefe, die Ruhe und den Frieden, in uns spüren, die ja auch da sind, und vielleicht zu ihnen in Kontakt kommen? Ihr merkt es, worum es mir geht. Eben nicht darum, irgendetwas, was an Emotionen in uns aufbricht, abzuschneiden oder gar zu verdrängen. Ich weiss, dass für manche die Vorstellung einer reifen Zen-Persönlichkeit die ist, dass dieser Mensch jenseits aller menschlichen Bezüge und Regungen vollkommen unberührt in sich ruht und durch die Welt und das Leben geht. Ich weiss nicht, ob es jemals eine solche Zen-Persönlichkeit gegeben hat? Ich glaube aber, dass dies nicht mit Zen gemeint ist. Unsere Zen-Übung ist die des Mitgefühls und des sich berühren lassens und andere zu berühren. Und in diesem Zusammenhang scheinen mir die Emotionen sogar sehr wichtig. Wichtig, dass wir uns berühren lassen, weil wir dadurch etwas erfahren, was in unserer Tiefe schlummert und an die Oberfläche kommen will, sich zeigen möchte. Und manchmal geschieht dies wie auf dem Meer, dass ein Sturm aus heiterem Himmel losbrechen kann. Mit einem Mal werden wir von einer Kraft mit grosser Intensität durchflutet - und wie es scheint auch weggerissen. Wie sollen wir dann damit umgehen? Es sein lassen, wäre mein Vorschlag. Und wir können dieses SEIN LASSEN in seiner Doppeldeutigkeit nehmen. Sein lassen in dem Sinne, dass wir es zulassen, dass wir es aushalten, was jetzt so mit uns geschieht. Uns darin aushalten, das fordert uns oft ganz. Aber wir werden merken, wenn es uns gelingen kann, diesen elementaren Kräften standzuhalten, dass dann der Sturm sich legt und zur Ruhe kommt. Und dann kann das Sein lassen auch noch in einem anderen Sinne geschehen, nämlich, dass wir es auch wieder ziehen lassen können. So wie der Sturm auf dem Meer plötzlich lostoben kann, sich aber auch wieder legt und die Wolken und die Kraft des Windes weiter ziehen, so lassen wir uns nicht in dieses Toben des Sturmes der Gefühle hineinziehen, sondern wissen, dass eben gerade auch dies mit dazu gehört und sich lösen wird. Worum es mir in unserer Übung geht, ist jenen schmalen Grat zwischen abschneiden von Gefühlen und sich ganz in ihren Bann ziehen zu lassen, wahrzunehmen. Auch dazu kennt ihr meinen Gedanken, lasst die Dinge da sein, nehmt sie wahr, aber lasst euch nicht in ihren Bann ziehen, sondern versucht immer den Abstand des/der Beobachters/in zu halten. Lasst sie „in der zweiten Reihe sitzen“ und wenn es uns gelingen kann, diese Erfahrungen mit dem tiefen Grund unserer Existenz zu verbinden, so kann etwas heilen/erlöst werden - oder in der psychologischen Wendung, können all die Dinge, die uns so bedrängen integriert werden. Das Meer ist eins und es wird darum gehen, uns in dieser Einheit zu spüren und leben zu lernen. Denn, so glaube ich, dass die Emotionen uns auch unsere grossen Kräfte zeigen. Das Erleben von Liebe, die meisten von euch kennen es, ist eine enorme Kraft. Und auch die Verkehrung der Liebe in Hass, ist eine nahezu unheimliche Energie. Und vielleicht speisen sich Beide aus einer ihnen gemeinsamen Urkraft, die sich einmal als Liebe und zum anderen Male als Eifersucht oder Hass zeigt. Wenn wir einmal aufhören zu werten, dann kommt hinter allem jene grosse, unmittelbare Kraft des Lebens zum Vorschein. Jene Kraft, die uns durchströmt und klärt und reinigt und weiterführt und uns mit allem verbindet. Mystiker nennen diese Kraft LIEBE. Und vielleicht können wir der nur wirklich begegnen, wenn wir rauskommen aus dem Werten und Sortieren in Angenehm und Unangenehm; aus dem Richtig und Falsch und Gut und Böse. Unser Leben umfasst alles, so wie das Meer auch tiefe Stille und den Sturm und die strahlende Sonne und Wärme und erfülltes Leben symbolisieren kann. All das aber werden wir nur erfahren können, wenn alles sein darf. Wenn wir nicht mehr unterscheiden und unseren Weg wagen, der so und nicht anders zu uns gehört. Ihr merkt es, da geht es nicht mehr darum auszuwählen und auch nicht um Anständigkeit, sondern um die ganz elementare Erfahrung von Lebendigkeit und Leben, das weder gut noch böse ist - das sind nur oftmals ängstlich-kindliche Zuordnungen – sondern das in seiner Tiefe und Weite und Schönheit gelebt werden will. Dies so zu verstehen, kann uns helfen Emotionen wahr-zu-nehmen, ohne sie abzuschneiden. Denn, ich habe es bereits gesagt, sie weisen uns auf etwas hin, was in uns da ist und gesehen, wahrgenommen werden will. Und so lasst uns noch einen Blick auf das tun was da so aufsteigt und sich zeigt. Meist sind es sehr alte Dinge, die sich da melden. Manchmal sind es alte Verletzungen und daraus entstandene Wunden, die mit einem Male wieder da sind - manchmal durch andere ausgelöst, die unsere „Knöpfe“ drücken - und in uns kommt Wut, Hass, aber auch das Gefühl von Ohnmacht auf und damit oft verbunden, werden in uns Aggression und Widerstand wach. Leicht können wir dann auch in Panik geraten und erstarren oder wir fangen an wild zu gestikulieren und zu agieren. Und in solchen Situationen spüren wir oft noch einmal die Wucht und die ungeheure Kraft, die hinter diesen Regungen stecken kann. Ja, wie wir manchmal im ganz wörtlichen Sinne ausser uns geraten, in eine Ekstase kommen, die uns wegzuschwemmen droht. Darum haben auch viele Menschen Angst vor Emotionen, weil sie glauben, dass sie dann ausser sich, ausser Kontrolle geraten könnten. Wenn wir mit unseren Gefühlen in Kontakt kommen, machen wir oft die Erfahrungen, dass diese tief in unserer Kindheit verwurzelt sind. Ich möchte das am Beispiel der Tränen einmal versuchen zu sagen. Wir haben Tränen aus Zorn und Wut und Enttäuschung, die wir wohl sehr gut aus unserer Kindheit kennen. Wir weinen aber auch, wenn wir von etwas ergriffen sind. Immer wieder haben es mir Menschen erzählt, wie sie in und von der Natur rief angerührt waren, von einer Blume oder bei einem Sonnenuntergang, so dass ihnen die Tränen kamen. Aber auch bei Abschieden, die mit Trauer und Wehmut verbunden sind. Oder wenn wir dem Glück und der Freude begegnen, sind es die Freudentränen, die uns von einem tiefen Berührtsein sagen. Ihr merkt, unsere Gefühle haben uns Wichtiges über uns mitzuteilen. Sie weisen uns auf Dinge hin, die noch wahr-genommen werden wollen und spülen manchmal tief Verborgenes in uns hoch. Da ist auch die Erinnerung an sehr glückliche Stunden, in denen wir der Fülle, der Schönheit und tiefen Verbundenheit unseres Daseins begegnet sind. Jenes ganz unmittelbare Erleben von Vitalität und Einssein mit allem, was ist. Auch diese Erfahrung ist tief in uns verankert und reicht weit in unsere Kindheit zurück, in jene Phase, in der wir noch ganz unmittelbar am Leben dran waren. Wo die meisten von uns jene zweckfreie Liebe erfahren haben, in der wir nur um unser selbst geliebt wurden und wo es nicht not-wendig war, etwas zu leisten oder Besonderes zu sein, sondern es genügte, dass wir da waren. Wir waren, um unser selbst geliebt, brauchten nichts zu sein, nichts zu leisten. Auch an diese Erfahrung erinnern uns unsere Gefühle und wecken in uns die Sehnsucht. Und genau an dieser Sehnsucht wird deutlich, dass es wichtig ist, die Gefühle wahrzunehmen, sich aber nicht in sie hinein ziehen zu lassen. Es ist wichtig, dass diese Sehnsucht uns weiter nach „vorne“ zieht und wir nicht zurückfallen in jene infantile Phase unserer Kindheit. Und das gilt auch für die anderen Erfahrungen von Verletzung oder schmerzlichen Verlusten. Auch die gehören der Vergangenheit an und grätschen manchmal unangemeldet ins Jetzt. In unserer Übung geht es nun darum, die „Mitte“ zu halten. Wahrzunehmen was war und uns aber nicht da rein ziehen zu lassen. Nicht von den Emotionen davon tragen zu lassen. Sie aber auch nicht zu verdrängen, wegzuschieben, uns taub und hart zu machen. Ein Therapeut hat in diesem Zusammenhang einmal von den „Zen-Leichen“ gesprochen. Also jene Zen-Übende, die meinen Zen wäre, dass man alles abschneidet und am Ende jener armselige „Tofu-Roshi“ entsteht, der ohne Höhen und Tiefen vermeintlich seinen geraden Weg geht. Das hat nichts mit Zen zu tun. Es gibt ein Koan, das in schöner Weise unseren Übungsweg thematisiert: Um der Anforderung an einen Zen-Schüler gerecht zu sein, muss ich auf diesem schmalen Bergpfad mit 99 Kurven geradeaus gehen. Sind wir mit diesem Koan nicht sehr nahe an unserer Wirklichkeit, an unserem Alltag dran? Und zeigen die 99 Kurven nicht auch die Schönheit und Fülle und Weite, die gerade ein Leben, dass das was gegensätzlich erscheint aufnehmen und als grosse Vielfalt und Reife erfahren kann. Das Koan sagt es sehr schön, der Pfad, auf dem wir gehen, ist schmal und mal rutschen wir auf der einen und ein andermal auf der anderen Seite ab. Manchmal werden wir in unsere Emotionen hineingezogen und beginnen unsere „Drehbücher zu schreiben“ und wenn wir es merken, können wir wieder zurück zu unserer Übung kehren. Und dabei haben wir noch etwas über uns erfahren, was alles in uns vorgehen kann. Die andere Seite ist, dass wir manchmal beschämt uns wahrnehmen in dem, was wir alles in uns tragen und all die Dinge gerne abschneiden möchten. Die Folge davon wäre, dass wir uns taub und stumpf machen. Aber wie soll ein Mensch, der die Gefühle abschneidet, Mitgefühl haben können? Mir scheint in diesem Zusammenhang wichtig, dass wir uns einmal auf der einen und der anderen Seite bewusst wahrnehmen, denn nur so können wir jenen mittleren Weg, den Buddha gelehrt hat mehr und mehr finden und gehen lernen. Ein Text noch zum Schluss: ….. es ist eine Kraft, die tief in meine Seele zieht und ihre Räume sucht. Resonanzen klingen und schwingen - Leben in grosser Vielfalt durchzieht mich. Mein Leben ist Bewegung in unendlichen immer neuen Fragen und Antworten, die Neues wecken und Altes neu gebären: bist du bereit mitzufliessen, mit zu leben, mit zu tanzen? Manchmal stockt der Atem mir. Bin ich wirklich bereit mich dem Leben zu öffnen, den Tanz mit zu tanzen, in so unendlicher Vielfalt der Klänge und Stimmungen? Werde ich bereit sein können zu lieben? Das zu lieben, was sich zeigt in ihrer so unermesslichen Fülle? Wird sie sich ereignen, die Liebesbeziehung mit dem LEBEN, mit dem Kommen und Gehen? Werde ich Leben sein? Jede Regung in mir, führt mich auf den Weg. Den Weg zu mir, in den Urgrund aller Bewegung, aller Schwingung: DER STILLE Verschwebende Stille, deren Klang mir sagt: du bist angekommen, nun gehe weiter ….
von Matthias Uhlich 07 Apr., 2022
Teisho 4/22 „Der Tod befreit zum Leben“ Vom kirchlichen Kalender her befinden wir uns wieder in der sog. Passionszeit - und jetzt auch konkret vor der Karwoche, in der die Christenheit das Leiden und Sterben Jesu intensiv betrachtet. Und wir alle sind wohl von Kindesbeinen an in diese Leidensmystik in unterschiedlicher Weise hineingezogen, hinein gewachsen. Und jede/r hat so seine ganz persönlichen Erfahrungen mit dieser Zeit gemacht. Und oft ist es dabei geschehen, dass wir den Tod und das Leiden als dunkle Bedrohung des Lebens und als Zerstörung der Schönheit unseres Daseins vermittelt bekommen haben. Aber Tod und Sterben, das Leben loslassen können, das ist tatsächlich ein vollkommen natürlicher Prozess, der zu unserer Existenz dazu gehört und ohne den wir nicht leben und uns entwickeln können. Eine Verherrlichung des Leidens allerdings ist Unsinn, sie führt uns nur noch in größeres Leid hinein und macht Menschen depressiv, zerstört alle schöne, ursprüngliche Lebendigkeit. Das heisst aber andererseits auch nicht, das Leiden zu verdrängen oder nicht wahrhaben zu wollen. Wenn Sterben und Leid in unser Leben tritt, so können wir es wachsam und voller Würde wahrnehmen und es auch annehmen, denn es hat oftmals eine uns verwandelnde Kraft und kann Ansporn für Neues sein und zu einer Lebendigkeit helfen, die uns hilft, die Schönheit unseres Daseins wieder neu zu entdecken. Nichts in unserer Natur ist darauf angelegt das Leiden zu preisen oder gar zu verherrlichen und in ihm zu versinken. Dies wäre gewiss eine Verdrehung und Perversion unseres natürlichen Lebens, das immer wieder neu die Fülle und Erfüllung sucht. Leiden und Angst stellt sich oft dann ein, wenn wir Widerstände dagegen aufbauen, wenn wir klammern und anhaften und das Loslassen nicht zulassen können. Wenn wir jedoch frei werden von der Last des Gestern, können wir offen werden für unseren Weg, für seine Entfaltung für seine Lebendigkeit. Jesus hat einmal gesagt: „Wer sein Leben bewahren will, der wird es verlieren.“ Und Thich Nhat Hanh formuliert ähnlich:
„Leben und Tod sind wechselseitig voneinander abhängig. Niemand braucht Angst vor dem Sterben zu haben, denn sterben bedeutet, gleichzeitig als etwas anderes geboren zu werden. Wenn eine Wolke stirbt, wird sie Regen.“ Was macht es gerade in unserer christlich-abendländischen Tradition so schwierig, dass Menschen oftmals den Tod verdrängen und das Leiden weit von sich schieben? Vielleicht sind es ganz verschiedene Facetten, die uns dazu bringen mit dem Leiden und dem Sterben eher schwer umzugehen. Zum einen ist es wohl die Erfahrung der so genannten Karwoche, die uns das Leiden Jesu – und damit auch unser Leiden so elementar vor Augen führt. Und davor fürchten wir uns. Das wollen wir auf gar keinen Fall! Und was für manche in besonderer Weise noch einmal eine Belastung ist, J.S. Bach hat es in der Johannes Passion meisterhaft vertont: „Ich, mein Herr Jesu, habe dies verschuldet, was du erduldet. ….. Wie wunderbarlich ist doch diese Strafe! Der gute Hirte leidet für die Schafe, die Schuld bezahlt der Herre, der Gerechte, für seine Knechte.“ („Oh Haupt voll Blut und Wunden“) Mit diesen Gedanken ist die Sündenbock Problematik aus dem AT ins NT und die gesamte christliche Tradition gewandert. Und die macht uns bis heute zu schaffen, nicht nur in der jüngeren deutschen Geschichte wo es die Juden waren, in denen man den Grund allen Übels sah. (Auch in diesen Tagen ist manchen die Sündenbock Thematik sehr nahe gekommen.) Für mich als einzelnen ist wohl wichtig, dass ich es erkenne, wenn ich meine Probleme, meine Angst, immer wieder auf andere verlagere anstatt sie bei mir zu lösen, zu erlösen. Wir alle kennen wohl diesen Satz: „du aber ….“ ganz gut. Und so lange wir dieses „du aber“ sagen, so lange nehmen wir die Verantwortung für das, was mit uns oder durch uns geschieht nicht zu uns, sondern verschieben sie ganz oder zum Teile auf die anderen, auf das „Du“. Vielleicht ist das ein Grund warum Menschen heute oftmals so eigenartig unreif und kindlich erscheinen. Und noch eine andere Facette, die mir wichtig scheint, der Tod ist am Karfreitag dunkel schwarz, schwer und duster lastend gezeichnet. Schwarz wird der Altar verhängt, die Kerzen werden gelöscht in der Kirche und es ist eine dumpfe Dunkelheit zu spüren. Der Tod ist nun starr und lähmend ganz gegenwärtig. Im krassen Gegensatz stehen dazu die Berichte von Menschen, die eine Nahtoderfahrung gemacht haben. Sie erzählen oftmals ganz anderes. Da wird meistens von viel Licht und Freude und einer tiefen Erfahrung von Liebe erzählt, denen die Menschen in der Erfahrung des Todes begegnen. Menschen haben mir oftmals nach einem solchen Erleben von der Schönheit und dem Glück dieser Erfahrung berichtet. „Herr Pfarrer, seitdem ich das erlebt habe, habe ich überhaupt gar keine Angst mehr vor dem Tod.“, so habe ich es öfter gehört. Aber warum haben dennoch Menschen so viel Angst vor dem Tod und dem Sterben? Da ist wohl auch, dass wir von Kindesbeinen an von der Religion her gelernt haben - und dieser Satz hat sich tief in das Leben der Menschen eingegraben: „Der Tod ist der Sünde Sold.“ Jene verhängnisvolle Aussage, die immer wieder Tod und Sterben mit Sünde und Versagen zusammenbringt. Darum ist es wohl auch so, dass so viele Menschen vor dem Sterben Angst haben, weil sie meinen, dass sie dann mit ihren „Sünden“ zur Rechenschaft gezogen werden, denn ihr „sündiges Leben“ ist ja der Grund, dass sie nun sterben müssen. Der Tod ist nun die Strafe, die dieses Leben verdient hat. Welch furchtbares Sterben kann aufgrund dieses Denkens immer wieder geschehen. Viele weise Menschen haben uns aber immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass das eben Geschilderte so nicht stimmt. Hermann Hesse hat es einmal sehr schön gesagt indem er formulierte: “Nach jedem Tod wird das Leben zarter und feiner“. Eine wunderbare Formulierung. Das ist eine ganz andere Art den Tod wahrzunehmen und den Tod zu begrüßen als eine Kraft, die uns weiter führt und uns dann in immer neue Formen der Lebendigkeit ziehen will. Zarter und feiner und lebendiger als jemals – aber nur, wenn wir es annehmen können dieses Sterben von Altem, kann sich unser Dasein verwandeln, zarter, feiner werden. Tatsächlich haben Geburt und Tod eine ganz wichtige Funktion in unserem Leben, einfach deswegen, weil sie uns sensibler machen und unsere Aufmerksamkeit auf das Leben, auf die Lebendigkeit hin ausrichten. Das Leben wird umso kostbarer je mehr wir uns dem Tod und dem Sterben stellen. Die Kostbarkeit unseres Daseins erfahren wir durch den Tod noch einmal in besonderer Weise. Das Wissen um den Tod zentriert uns und macht uns wach, ermutigt uns, ehrlich und aufrichtig zu fragen, warum sind wir/bin ich wirklich hier? Was will ich leben? Was ist der Sinn und Ziel meines Lebens, das gestaltet und entfaltet werden will? Wenn wir diese Schönheit unseres Dasein so ganz elementar erfahren, dann kommt gerade in diesen Momenten der Wunsch nach Dauer, das Festhalten, das Anhaften an dem, was wir gerade so glückhaft erleben auf. Aber gerade das festhalten wollen macht unser Leben wieder eng, verursacht Schwierigkeiten und Schmerzen und macht jegliche Entwicklung und Veränderung unmöglich. Das loslassen, das frei werden und nicht immer wieder alles so haben wollen wie es schon immer war, führt uns in eine ganz unmittelbare Lebendigkeit. Wir werden aus der Starre in die Vielfalt und Flexibilität, in die Kreativität geführt. Und so wird Wachstum, Veränderung, Reifung möglich. Nur das Annehmen und immer wieder sich lassen und zulassen können, macht unser Leben wirklich lebendig. Im Mitgehen ergeben sich immer neu Räume, die gelebt, gefüllt und gestaltet werden wollen. Und in dieser Wandlung erfährt unser Leben Reife und Weite und Schönheit. Osho sagt: “Das Kind wird zum Jugendlichen, der junge Mann wird alt. Wer gestern lebendig war, ist morgen tot. Wenn du all diese Veränderungen, das so sein der Dinge, akzeptierst und es voller Freude erlaubst, weil du weißt, dass das Leben so ist, kann dich niemand mehr von deiner Seligkeit abbringen.“ Wir suchen in unserem Leben Glück und Seligkeit und Freude und Erfüllung. Und oftmals meinen wir, wir könnten das machen und wenn wir es „haben“, dann wollen wir es festhalten und nie mehr loslassen. Aber gerade das ist es, was uns daran hindert wirklich frei und glücklich und lebendig zu sein. Unser haben wollen und unser Sicherheitsbedürfnis machen uns eben so eng, dass am Ende nur noch Starre und ein in sich verkümmertes Leben ist. (Und bei manchen Menschen hat man manchmal das Gefühl, dass sie zwar noch leben aber eigentlich schon tot sind.) Und oftmals sind es auch diese Menschen, die, um dem Tod zu entgehen oder ihn möglichst lange hinauszuschieben, planen und versuchen, so gut es geht sich zu versichern, das Leben abzusichern und es in den Griff zu bekommen. Und manchmal fragen sich Menschen dann, wenn dies gelungen scheint, ist es wirklich das, was ich leben will, ist das wirklich schon Lebensqualität, Lebendigkeit? Hans Christian Anderson hat eine kleine Geschichte dazu geschrieben: An manch einem warmen Sommertag hatte die Eintagsfliege um die Krone eines alten Baumes getanzt, gelebt, geschwebt und sich glücklich gefühlt, und wenn dann das kleine Geschöpf einen Augenblick in stiller Glückseligkeit auf den großen frischen Blättern ausruhte, so sagte der Baum immer: „Arme Kleine! Nur einen Tag währt dein ganzes Leben! Wie kurz ist das! Wie traurig!“ „Traurig?“, erwiderte dann stets die Eintagsfliege. „Was meinst du damit! Alles ist so herrlich licht, so warm und schön, und ich selber bin so glücklich!“ „Aber nur einen Tag, und dann ist alles vorbei?“ „Vorbei“, sagte die Eintagsfliege, „was ist vorbei? Du bist auch vorbei?“ „Nein, ich lebe vielleicht Tausende von deinen Tagen, an meinem Tag sind ganze Jahreszeiten! Das ist etwas so Langes, dass du es gar nicht ausrechnen kannst!“ „Nein, denn ich verstehe dich nicht! Du bist Tausende von meinen Tagen, aber ich habe Tausende von Augenblicken, in denen ich froh und glücklich sein kann! Hört denn alle Herrlichkeit dieser Welt auf, wenn du einmal stirbst?“ „Nein“, sagte der Baum, „die wird gewiss viel länger, als ich denken kann!“ – „Aber dann haben wir ja gleich viel, nur dass wir verschieden rechnen!“ Diese kleine Geschichte nimmt den Gedanken von eben auf, der meint, dass wir unser Leben planen und gestalten könnten und es dann so festhalten, so lange wie nur irgend möglich, wie es ist. Damit aber verlieren wir alle Lebendigkeit. Und noch ein anderes Problem wird an dieser Geschichte deutlich. Oftmals verschieben wir das Leben auf morgen, weil wir glauben, dass wir noch eine große Zahl an Tagen vor uns haben. Vielleicht kennt ihr es auch aus eurer Kindheit, die Sehnsucht endlich gross und erwachsen zu werden und dann frei zu sein, um das leben zu können, was man will; und dann waren wir groß und dann wollten wir endlich viel Geld verdienen, um leben zu können; und dann haben wir viel gearbeitet und wir haben uns auf die Zeit gefreut oder freuen uns noch auf die Zeit, wo wir dann endlich Zeit haben werden, um all das zu leben, wonach wir uns seit den Kindertagen sehnen. Ihr kennt vielleicht das, was ich meine, dass wir unser Leben immer auf morgen verschieben und am Ende glauben wir dann das, was wir von Kindesbeinen an von der Religion gelehrt bekommen haben – nämlich, dass im Himmel dann endlich das ersehnte paradiesische Leben uns entgegenkommt. Im 19. Jahrhundert waren es einige Philosophen und Schriftsteller, die immer wieder angemahnt haben, „Brüder bleibt der Erde treu“. Heinrich Heine, Friedrich Nietzsche um nur zwei zu nennen waren es, die immer wieder Menschen aufriefen im Heute, im Hier und Jetzt zu leben. Und Heinrich Heine hat es in einem Gedicht so formuliert: Wir wollen hier auf Erden schon Das Himmelreich errichten. Es wächst hienieden Brot genug für alle Menschenkinder Und Rosen und Myrten, Schönheit und Lust, Und Zuckererbsen nicht minder. Ja, Zuckererbsen für jedermann, Sobald die Schoten platzen! Den Himmel überlassen wir Den Engeln und den Spatzen. So wie es die Eintagsfliege dem Baum sagt, es geht um den Augenblick, es geht um das Jetzt, in dem ich ganz glücklich bin und die ganze Fülle des Daseins, meines Lebens fühlen und leben lerne. Meister Hakuin hat einmal seinen Schülern folgende Übungsanweisung gegeben: „Meine lieben, teuren Freunde! Sterbt einmal, solange ihr noch am Leben seid. Dann könnt ihr wirklich leben und werdet nie wieder sterben.“ Meditation üben heißt loslassen lernen, heißt sterben lernen – die Kunst des Sterbens zu lernen. Und die Kunst des Sterben Lernens ist die Kunst, immer vertrauter zu werden mit dem Grund, der uns trägt und weiter führt - von Geburt bis zum Tod - und darüber hinaus. Es ist die Erfahrung der Einheit mit ALLEM, mit der Wesensnatur, wie es im Zen benannt wird. Und hierher gehört auch der Gedanke, dass die Wesensnatur nicht geboren wird und darum kann sie auch nicht sterben. Sie ist das Leben hinter den Schleiern unseres Alltags. Wenn wir dem Tod entrinnen wollen - und das klingt nun widersprüchlich - dann müssen wir das Sterben zulassen und keine Angst mehr davor haben. Ein Mensch, der den großen Tod gestorben ist, kennt seine wahre Natur und weiss, dass der Tod ein Durchgang in eine neue Existenz ist. Und ihr kennt den Satz: Wer stirbt, bevor er stirbt, stirbt nicht, wenn er stirbt. Und ihr wisst es auch, der große Tod, den wir sterben, ist nicht der Tod, der am Ende unseres Lebens steht, sondern es ist das Sterben, das wir mitten im Leben erfahren, wenn wir ganz ins Leben durch brechen. Dann erfahren wir, dass es nur diese eine Lebendigkeit, dieses eine Leben gibt. Der Tod, die Tode, die wir immer wieder sterben müssen, um lebendig zu bleiben, machen uns dann keine Angst mehr, sondern sie haben einen Geschmack von Leben, weil wir eins mit dem Leben sind und so niemals sterben können. Menschen erfahren dann, dass das Leben uns in jedem Augenblick trägt - in hellen und in dunklen Stunden, in der Freude und im Glück und in der Trauer, in Schmerzen und Angst. Darum ist der Augenblick, das Jetzt, das wir auf unserem Meditationsplatz üben so wichtig, denn nur im Augenblick erfahren wir die „Ewigkeit“, ganz gleich wie lange wir auf dieser Erde leben, und wie alt wir einmal werden. Matthias Uhlich (Hong zhi), im April 2022
von Matthias Uhlich 24 Feb., 2022
Wohin mit den Ängsten und Unsicherheiten, die unser Leben durchziehen? In der letzten Zeit, bin ich bei Dokusan-Gesprächen immer wieder darauf angesprochen worden, wie schwer es Menschen in diesen Tagen ist, mit den verschiedenen schwierigen Situationen, die wir in unserer Gesellschaft leben, umzugehen. Und in der Tat es ist nicht einfach all die Spannungen, die gerade unser Miteinander durchziehen, auszuhalten. Da ist auf der einen Seite sehr viel Angst und Unsicherheit um Corona, die Angst andere anzustecken oder von anderen angesteckt zu werden. Da ist aber auch viel Unsicherheit, über die Informationen, die wir bekommen und die unklare Rolle der Medien in der gesamten Berichterstattung, denen manche einfach nicht mehr trauen können. Da ist aber auch ein großes Potenzial an Aggressionen in unserem Miteinander, das manche von uns sehr intensiv wahrnehmen und nur schwer damit umgehen können. Dazu kommt auch die Angst vor Krieg und Gewalt zwischen Russland und der Ukraine und deren unabsehbare Folgen für unser Leben hier in Westeuropa. In Gesprächen wird mir immer wieder gesagt, wie soll ich das aushalten, wie soll ich damit umgehen, wie wird es weitergehen, was soll noch aus all dem werden? Für viele sind es sehr elementare und bedrückende Fragen und es scheint irgendwie keinen Ausweg oder überhaupt einen Weg zu geben. Damit ist ein strukturelles Problem für uns alle, die wir meditieren, angedeutet, beziehungsweise schon sehr gut beschrieben: je mehr wir in die Stille kommen, je mehr wir zur Ruhe finden, umso mehr und intensiver nehmen wir die Unruhe und die Spannungen um uns herum wahr. Durch die Meditation sind wir durchlässiger, sensibler und auch schutzloser all dem ausgesetzt, was um uns herum geschieht. Und das ist auch richtig so, denn unsere Übung heißt ja, bewusst den Augenblick, das Jetzt wahr-zunehmen. Und damit nehmen wir natürlich auch all das wahr, was andere Menschen oftmals so überhaupt nicht aufnehmen können, sich bewusst machen. Mir scheint, dass vielen, die mit uns leben, gar nicht klar ist, was gerade alles auf dem Spiel steht. Da mutet das kleinkarierte Kreisen um ein Virus eher sehr unbewusst an. Aber was können wir machen? Was sollen wir tun? Sind wir denn überhaupt noch auf dem richtigen Weg? Wir haben doch eigentlich die Ruhe gesucht und begegnen nun in einer sehr intensiven Weise der Unruhe. Ist es das, was wir uns unter Zen-Meditation vorgestellt haben? Sicher nicht. Und dennoch sind diese Phänomene Teil des spirituellen Zen-Weges. Im ZEN gehört immer beides zusammen, die kontemplative Ruhe und Gelassenheit auf der einen und das sich dem Leben auf dem „Marktplatz“ stellen, auf der anderen Seite. Und auf dem Marktplatz begegnen wir gerade sehr viel Unruhe, Spannungen, Zerrissenheit, Unsicherheit, Misstrauen, Schuldzuweisungen und Angst - und damit verbunden ist für viele Menschen auch die Suche nach etwas, was uns Orientierung und Hilfe sein kann, in einer Zeit, in der für manche wenig Vertrauenswürdiges mehr zu finden ist. Dieser Tage erzählte mir jemand eine kleine Begebenheit, von einer Begegnung auf dem Domplatz bei den Spaziergängern. Die Person stand unmittelbar neben dem Geschehen, das ich jetzt nicht weiter skizzieren möchte, und beobachtete, was geschah. Am nächsten Tag las sie zu diesem Ereignis den Bericht in der PNP und war höchst erstaunt, was da der Journalist berichtet. Es war so ziemlich das Gegenteil von dem, was sie selbst beobachtet hatte. Damit ist ziemlich gut ein Problem unserer Tage skizziert. Die Presse und deren Berichterstattung scheint in manchen Dingen nicht mehr mit der Realität übereinzustimmen, die Menschen von der Wirklichkeit haben. Und da entsteht plötzlich ein großes Misstrauen, eine Empörung und Ärger über das, was uns da mitgeteilt wird. Vielleicht sollten wir in diesem Zusammenhang noch einmal einen Blick auf den Journalisten und dessen Situation werfen. Der Journalist ist von einer Zeitung angestellt, die eine bestimmte politische Richtung vertritt. Vielleicht hat der Journalist Familie, hat einen Kredit ab zu zahlen oder wie auch immer, er muss seinen Lebensunterhalt in irgendeiner Form absichern. Der gute Mensch weiß nun ganz genau, dass er seinen Artikel, wenn er ihn verkaufen will, so gestalten muss, dass sein Vorgesetzter ihn auch akzeptiert und er am nächsten Tag in der Zeitung, die für eine bestimmte Haltung steht, veröffentlicht wird. Sarah Wagenknecht hat kürzlich in einem kleinen Gespräch gezeigt, wie sich in den letzten Jahren unsere Medienlandschaft verändert hat. Sie machte deutlich, dass aus den ehemals über 200 Unternehmern, die den journalistischen Markt mit Informationen versorgten, nunmehr 20 übrig geblieben sind, die die ganze Medienwelt beherrschen. Das geht auf Kosten der Vielfalt aber auch einer kritischen Berichterstattung. Bitte versteht nicht falsch, ich möchte an dieser Stelle niemanden kritisieren oder gar verurteilen. Vielmehr scheint mir die Frage, die wohl manche von uns umtreibt, wichtig: Wie sollen wir mit dieser Situation umgehen? Die Situation der Spannung und Angst, der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins z.B. im Falle eines Impfzwanges und der Unsicherheiten, die von verschiedenen Seiten geschürt werden. Gerne würde man etwas tun, aber uns scheinen die Hände gebunden. Ja, man kann auf die Straße gehen, aber das ist nicht jeder Manns und jeder Frau Sache. Ob und was es bewirkt, das weiss wohl niemand so recht. Ihr kennt meine Gedanken zum Thema Coronavirus und in dem Zusammenhang auch die Frage, was haben wir in diesem Zusammenhängen zu lernen, ja schon ganz gut. Und ich möchte gerne zwei Aspekte für diesen Vortrag noch einmal hervorheben. Zum einen möchte ich sagen, dass ich glaube, dass das Virus die Wahrheit, die schon immer da war nun in einer ziemlichen Klarheit uns vor Augen stellt. Und das ist oftmals nicht so angenehm und einfach zu verkraften. Die Wahrheit über unser gesellschaftliches Zusammenleben, die Wahrheit aber auch in unserem ganz persönlichen Umgang mit uns nahen Menschen und Freunden kommt ans Licht, ins Licht. Und das ist manchmal nicht leicht auszuhalten, was wir da an menschlichem Miteinander erleben. Zum anderen sagt uns das Virus aber auch, dass wir uns mehr auf uns selbst besinnen sollen und uns nicht mehr im Aussen fest machen und auf die vielen Meinung anderer hören und gar uns auf sie gründen. Das, was wir jetzt in der Presse und den öffentlichen Medien erfahren, macht es für manche von uns unmöglich, dieser Berichterstattung und diesen Informationen noch zu trauen. In diesem Zusammenhang scheint mir die Aufforderung, die uns das Virus mit auf den Weg gibt, sehr klar zu sein, nämlich orientiere dich nicht mehr an den Anderen, im Aussen, sondern entwickle immer mehr die Fähigkeit in dich hinein zu spüren, in dir selbst Halt zu finden und Sicherheit. Lerne ganz neu auf deine innere Stimme zu hören, deiner Intuition zu folgen - und vor allem zu trauen! Aber wie soll das gehen, so fragen mich manche, wenn ich innerlich völlig durcheinander bin und überhaupt gar nicht weiss, was ich denken und fühlen soll; wenn die allgemeine Angst auch in mir steckt; wenn ich die Aggression und Spannungen der anderen auch in mir wahrnehme? Ja, das ist richtig so, dass wir mit unserem Weg auf keiner Insel leben und die Erfahrungen der Menschen, mit denen wir zusammen sind, sich auch mitten durch unser Leben, durch unseren spirituellen Weg ziehen. Es ist manchmal leicht gesagt - und in guten Zeiten fühlt es sich auch gut an, wenn uns die Mystiker ihre Erfahrung der Verbundenheit mit allem immer wieder mit auf den Weg geben. Aber dieses Verbundensein mit allem heisst ja auch, dass wir genauso mit all dem Schwierigen und Schweren, was unsere Gesellschaft durchzieht, verbunden sind. All das, was die Menschen bewegt - und dabei scheint es mir unwichtig zu sein, ob die Menschen das bewusst wahrnehmen oder nur unbewusst ihr Leben gestalten. Wir sind Teil des Ganzen und nehmen natürlich auch die Widersprüche und Spannungen der Menschen, in der Gesellschaft auf, sie gehen auch mitten durch uns hindurch. Ihr kennt das Bild vom Netz, wo jeder von uns eine Masche dieses Ganzen ist und wir so alle miteinander auch verbunden sind. Als Sangha sind wir wie ein Netz. Und wir speisen in dieses Netz ein und wir ziehen auch Kraft aus unserer Gemeinschaft, unserem Miteinander für unseren Weg. Was im Kleinen für unsere Sangha gilt, das gilt auch in viel größerem Maße für das Zusammenleben mit den anderen Menschen. Auch mit denen sind wir verbunden, auch von denen nehmen wir auf und wir speisen auch in dieses große Netz der Gesellschaft ein. Für viele ist es nicht leicht das Schwierige, das sie gerade in unseren Tagen wahrnehmen auch auszuhalten. Und da sind immer wieder die Fragen, was soll ich, was sollen wir machen? Als erstes scheint mir wichtig zu sein, dass wir bewusst wahr-nehmen was ist. Also eben nicht verdrängen oder so tun als wäre nichts, sondern unser Bewusstsein auch auf die Dinge richten, die schwierig sind, die uns bedrängen, die manchmal kaum noch auszuhalten sind. Bewusstsein und nicht verdrängen ist eine wichtige Übung auf unserem spirituellen Weg. Manche von euch kennen meine Idee dazu, dass ich immer wieder sage, wenn du das Schwierige wahrnimmst, dann setz dich rein, dann nimm das an, was ist und wenn irgend es geht, dann halte dich darin aus. Die Wandlung, die Veränderung kommt nicht dadurch, dass wir bestimmte Dinge ausblenden oder nicht wahrhaben wollen, sondern geschieht dadurch, dass wir das, was uns bedrängt und bedrückt wahr-nehmen und eben nicht verdrängen. In der Wahrnehmung deutet sich dann oftmals schon eine Wandlung an. Wenn wir verdrängen, nehmen wir uns die Möglichkeit der Veränderung. Dinge wahrzunehmen heißt nun aber nicht, dass wir uns ständig damit beschäftigen und um sie kreisen. Die Anweisungen der alten Meister, die noch heute genauso gilt, heißt: Nimm die Dinge wahr, aber hafte an sie nicht an, sondern lass sie ziehen, lass sie immer wieder gehen in den offenen Raum unseres Seins. Und in diesem Zusammenhang haben sie uns die Übung mit dem Atem, bzw. mit den Koans mitgegeben. Nimm wahr was ist - und da ist es gleichgültig, ob du in deinen ganz persönlichen Dingen ge- oder befangen bist, oder ob dich die grossen gesellschaftlichen Probleme umtreiben. Nimm all das wahr aber identifiziere dich nicht damit, sondern lass die Dinge wieder ziehen, hafte nicht an. Verbinde all das mit deinem Atem, der kommt und geht. Und nur weil du ausatmest, den Atem wieder gehen lässt, kann der neue Atem kommen, kannst du einatmen, kannst du leben. So auch mit den Dingen, die dich unablässig beschäftigen, bedrängen. Versuche über das Ausatmen die Dinge ziehen zu lassen, die dein Leben eng machen. Und über das Einatmen spüre dich wieder neu in deinem Körper, nimm so deine Einmaligkeit wahr, denn so wie du atmest, atmet sonst niemand auf der Welt. Spüre dich, nimm dich wahr so wie du bist. Und je mehr es dir gelingt bei dir zu sein, um so mehr wirst du frei von den anderen Menschen. Du findest dich und in dir deine Sicherheit, indem du dich so wie du bist wahr-nehmen und annehmen kannst. Und so wirst du ein Gegenüber für die, die oft so unklar und ungewiss sind. Je mehr es uns gelingen kann bei uns zu sein, und das was uns unablässig beschäftigen auch zu lassen, um so mehr kommen wir in einem ganz direkten Sinne zu uns und in unsere Mitte. Spüren uns und entwickeln immer mehr ein Gefühl dafür, was uns gut tut und was nicht. Und so werden wir immer weniger von anderen und deren Denken und Fühlen abhängig. Je mehr wir es lernen können die Spannungen, die wir wahrnehmen, auszuhalten und dann auch wieder gehen zu lassen und damit zur Ruhe und in einen Frieden zu kommen, um so mehr können wir dann auch in unsere kleine Umgebung, in der wir tagtäglich leben - aber auch in das grosse gesellschaftliche Netz Ruhe und Frieden und vielleicht auch Wandlung einspeisen. Matthias Uhlich 2/2022
von Matthias Uhlich 17 Nov., 2021
Von euch ist ein Thema für ein Teisho genannt worden, das ich sehr interessant finde und über das ich gerne ein paar Gedanken sagen möchte: „Warum wir üben - was üben nicht ist.“ Allein die Frage zeigt schon einen sehr interessanten Blickwinkel auf unsere Meditationspraxis. Bei meinen Einführungskursen in die Zen-Meditation mache ich zu Beginn immer eine kleine Eingangsrunde mit der Frage, warum Menschen sich für diesen Kurs angemeldet haben? Die Antworten sind sehr unterschiedlich - und dennoch bei aller Verschiedenheit ist ein Tenor da, der heisst, ich will zur Ruhe kommen, ich will entspannen, mein Arzt oder Therapeut hat mir gesagt, ich müsste/sollte meditieren, um aus meinem Stress raus zu kommen. Da sind Menschen, die zur Ruhe kommen wollen, ausspannen, entspannen, Raum für sich suchen und finden wollen. Beim Begriff Meditation assoziieren wir natürlich, Relaxtheit, mal nichts machen und rundum nur noch entspannen, ausruhen vom Alltag, vom Stress, der uns alle in je eigener Weise fordert und im Griff hat. Wir möchten gerne raus aus einer Welt der Unruhe und des Getriebenseins und diese uns unbarmherzig fordernde Welt hinter uns lassen. Manchmal ist diese Vorstellung auch mit einem Kämmerlein verbunden, in dem ich ganz für mich, abgeschirmt von der Welt, dem Alltag zur tiefen Ruhe und Glückseligkeit finden kann. Ich weiss nicht, ob es diesen Ort des Rückzuges und des seligen Glückes bei sich zu sein, jemals gab oder geben kann - ausser vielleicht in den Vorstellungen und Wünschen von gestressten Menschen. Ihr alle kennt es und wisst aus eigener Erfahrung davon, dass Zen-Meditation keine Wellness Veranstaltung à la Fernost ist. Was wir praktizieren ist ein Weg, den Menschen im Osten wie im Westen als einen mystischen, spirituellen Weg gegangen sind. Und wenn ich vom Praktizieren spreche, dann impliziert das ganz automatisch auch, was zu jeder Praxis gehört, das Üben. Die Übung ist wohl die Grundlage einer jeden spirituellen Praxis. Das Üben allein für mich zu Hause an meinem Meditationsplatz, in der Gruppe zusammen mit anderen - und vor allem im Alltag mit und bei den Menschen, die von Spiritualität, von Mystik keine Ahnung haben und auch nichts davon wissen wollen. Auf diese Übungen muss ich mich immer neu einlassen. Der Alltag - im Zen oft mit dem Begriff „Marktplatz“ beschrieben und der Rückzug auf meinen Meditationsplatz sind keine Gegensätze, sondern beide gehören zusammen. Beide sind Übungsplätze, die für unser Leben wichtig sind und die sich gegenseitig durchdringen. Und jeder Bereich kann auf diese Weise den anderen hilfreich befruchten. Und damit ist deutlich, die Ruhe und Gelassenheit, das Bei-mir-sein ist nicht nur eine Übung im Rückzug, sondern ebenso wichtig auch im alltäglichen Leben. Im Alltag werden wir immer wieder schnell von all dem, was so am „Wegesrand“ liegt und einen gewissen Aufforderungscharakter hat, von den Versuchen bei uns zu bleiben abgezogen. Wir alle kennen es wohl ganz gut, dass wir manche Dinge gleichzeitig tun, telefonieren und nebenbei kleine Handgriffe erledigen; manches, was wir bei einer Tätigkeit wahrnehmen auch gleich noch mit machen, weil es sich gerade anbietet usf. Und so ist unsere Übung im Alltag, einfach einmal ganz ruhig bei mir und dem zu bleiben, was ich gerade tue: Auf meinem Meditationsplatz, in der Stille dieses ruhige bei mir sein zu üben. Und dann diese Übung mit in den Tag zu nehmen in jeden Handgriff, in die Begegnungen mit Menschen, in all dessen, was am Tag zu erledigen ist. Dieses ruhig bei mir bleiben übe ich jeden Tag. Und da merke ich schon, wie schwierig es ist, mich nicht immer wieder von den vielen verschiedenen Gedanken und Eindrücken, Erinnerungen, Bildern, Befürchtungen …. abziehen zu lassen, sondern einfach nur ganz ruhig bei mir und dem Augenblick, den Atemzug jetzt, zu bleiben oder eben auch bei dem zu sein, was gerade an Lebendigkeit mir begegnet. Dieses JETZT, dieser Augenblick ist in allen mystischen Traditionen des Ostens und des Westens wichtig. In der westlichen Tradition sprechen die Mystiker, vor allem Meister Eckehart vom „NU“. In diesem Augenblick, in diesem „NU“ gibt es keine Zeit mehr, reines, einfaches Dasein geschieht dann. Menschen haben es immer wieder erfahren, dass immer dann, wenn es ihnen gelingt, in den Augenblick zu kommen, dass dann die verschiedenen Zeitdimensionen ihre bannende, bindende Kraft verlieren können. Angst, Sorge, Erwartungen, Berechnungen, wie es wohl werden wird, werden könnte, die uns manchmal so sehr in die Enge treiben, verlieren ihre lähmende Kraft und wir finden uns mit einem Male in einem Jetzt, dessen lösende Kraft uns zufliesst. Es gibt die schön Zen-Geschichte von Meister Ikkyu, den ein Schüler nach dem Wichtigsten des Zen Weges fragte und wohl vom Meister kluge spirituelle Weisungen und Erklärungen erwartete. Meister Ikkyu aber nahm seinen Pinsel und schrieb das Wort: AUFMERKSAMKEIT Ist das alles?, fragte der Mann. Kannst du nicht noch etwas mehr dazu sagen? Daraufhin nahm der Meister wieder seinen Pinsel und schrieb wieder das Wort AUFMERKSAMKEIT.AUFMERKSAMKEIT. Der Mann wandte sich enttäuscht ab und sagte, in dem was du da schreibst kann ich weder Freiheit noch Tiefe erkennen. Da nahm Ikkyu noch einmal seinen Pinsel und schrieb dreimal hintereinander: AUFMERKSAMKEIT.AUFMERKSAMKEIT.AUFMERKSAMKEIT. Ärgerlich fragte der Mann, was soll dieses Wort AUFMERKSAMKEIT denn bedeuten? Ikkyu antwortete AUFMERKSAMKEIT bedeutet AUFMERKSAMKEIT. Der grosse vietnamesische Zen Meister Thich Nhat Hanh hat mit und bei seinen Schülern die ACHTSAMKEIT geübt. Achtsamkeit und Aufmerksamkeit sind wohl synonyme Begriffe für die Übung, um die es geht. Bei Thich Nhat Hanh spielt neben der Zen-Übung auf dem Sitzkissen die Gehmeditation eine wichtige Rolle aber auch das alltägliche Tun, die einfachen Arbeiten im Haus und im Garten sind bei ihm wichtige Orte des Übens. Die meditative Übung und der Alltag gehören für ihn zusammen, so lehrt er das Zen. Und so sagt er z.B. “Es gibt zwei Arten, das Geschirr abzuwaschen: Die erste ist, das Geschirr zu spülen, um sauberes Geschirr zu haben, und die zweite ist, das Geschirr zu spülen, um das Geschirr zu spülen.“ Das ist es auch, was Meister Eckehart mit dem „NU“ oder in einer anderen Redewendung, die er immer wieder gebraucht, „sundern warumbe“, ohne warum zu sein, meint. Von Theresa von Avila wird berichtet, dass sie die Nonnen, die sich der spirituellen Übung der Levitation hingaben aus der Kirche holte und sie in die Küche schickte: „Auf ihr faulen Weiber geht an die Töpfe und Pfannen!“ In einem Text, der Theresa zugeschrieben wird, wird das eben Beschriebene noch einmal konkretisiert: Herr der Töpfe und Pfannen, ich habe keine Zeit, eine Heilige zu sein, Und dir zum Wohlgefallen in der Nacht zu wachen. Auch kann ich nicht meditieren in der Morgendämmerung Und im stürmischen Horizont. Mach´ mich zu einer Heiligen, Indem ich Mahlzeiten zubereite und Teller wasche. Nimm an meine rauen Hände, weil sie für dich rau geworden sind. Kannst du meinen Spüllappen als einen Geigenbogen gelten lassen, der himmlische Harmonie hervorbringt auf einer Pfanne? Sie ist so schwer zu reinigen und, ach, so abscheulich. Hörst du, lieber Herr, die Musik, die ich meine? Die Stunde des Gebetes ist vorbei, bis ich mein Geschirr vom Abendessen gespült habe, und dann bin ich sehr müde. Wenn mein Herz noch am Morgen bei der Arbeit gesungen hat, ist es am Abend schon längst vor mir zu Bett gegangen. Herr der Töpfe und Pfannen, bitte, darf ich dir, statt gewonnener Seelen, die Ermüdung anbieten, die mich ankommt beim Anblick von Kaffeesatz und angebrannten Kochtöpfen. Erinnere mich an alles, was ich leicht vergesse, nicht nur um Treppen zu sparen, sondern dass mein vollendet gedeckter Tisch ein Gebet werde. Im Zen haben wir das gleiche so beschrieben: Alltag ist der Weg (Mumonkan Nr. 19) Jôshû fragte Nansen in allem Ernst: „Was ist der WEG?" Nansen antwortete: „Der alltägliche Geist ist der WEG." Jôshû fragte: „Soll ich mich selbst darauf ausrichten oder nicht?" Nansen sagte: „Wenn du versuchst, dich ihm zuzuwenden, wendest du dich von ihm ab." Jôshû fragte: „Wenn ich nicht versuche, mich ihm zuzuwenden, wie kann ich wissen, daß es der WEG ist?" Nansen antwortete: „Der WEG hat nichts zu tun mit Wissen oder Nicht-Wissen. Wissen ist Illusion. Nicht-Wissen ist ohne Bewusstsein. Wenn du den zweifelsfreien, wahren WEG wirklich erreicht hast, wirst du ihn erfahren als grenzenlos und leer wie den Weltraum. Wie kann man darüber sprechen auf einer Ebene von Richtig oder Falsch?" Bei diesen Worten war Jôshû plötzlich erleuchtet. Es geht im Westen wie im Osten, um die einfache Aufmerksamkeit in all den oft so banalen Dingen, die wir immer wieder zu verrichten haben. Wie einfach es auch gerade sein mag, was ich tue, vom Spülen über das Teetrinken, das Gehen, das Gespräch mit den anderen …… all das ist unsere Übung und sonst nichts. Thich Nhat Hanh hat dazu geschrieben: „Wenn du von deinem Kummer fortgetragen wirst, von deiner Angst, deiner Wut, dann kannst du auch nicht wirklich dasein für die Menschen und die Dinge, die du liebst.“ Das ist ein Aspekt. Einen anderen habe ich vorhin schon angedeutet, nämlich, dass aus dem Erleben der Gegenwärtigkeit eine grosse Erfahrung von Glück und Glückseligkeit entstehen kann. Marguerite Porete beschreibt diese Erfahrung so: Solch eine Seele schwimmt im Meer der Liebe, das ist im Meer des Entzückens, das von der Gottheit herabströmt. Sie fühlt keine Freude, denn sie selbst ist Freude und schwimmt und fließt in der Freude, ohne sie zu empfinden. Denn sie bewohnt die Freude, und Freude bewohnt sie. Ganz in den Augenblick, ins Jetzt zu kommen, schafft gerade das Erleben von Freude und grosser, tiefer Verbundenheit mit allem, was ist und entspringt allein aus dieser Präsenz. Auch hier haben wir es wieder, es ist keine besondere Freude, die an irgendetwas gebunden ist, sondern es ist die tiefe Freude an der Freude, um es mit Meister Eckehart zu sagen, „sundern warumbe“, die erfahren wird. Die aber auf der anderen Seite ganz tief in und mit unserem Leben, unserem Alltag verbunden ist - und die auch jenseits von irgendwelchen Wahrheiten oder Richtigkeiten liegt. Im Chassidismus wird dieses sich freuen am Leben auch immer wieder thematisiert. Eine kleine Geschichte macht es deutlich, wie voraussetzungslos die Freude ist, sein kann: Der Seher von Lublin kannte einen großen Sünder, mit dem er sich immer wieder gern und lang unterhielt. Als die Leute der Gemeinde daran Anstoß nahmen und vorzubringen wagten: »Rabbi, wie duldet Ihr solch einen Menschen in Eurer Gegenwart?« bekamen sie zur Antwort: »Ich weiß, was ihr wißt. Aber was kann ich tun? Ich liebe die Freude und hasse die Trübsal. Und dieser Mann ist ein so großer Sünder; sogar unmittelbar nach der sündigen Handlung, wo doch sonst alle, und sei es auch nur ein Weilchen, zu bereuen pflegen, sei es auch nur, um sich alsbald wieder ihrer Torheit zu ergeben, widersteht er der Schwermut und bereut nicht. Und die Freude zieht mich an.« Eine andere kleine Geschichte aus dem Chassidismus, also der besonderen Frömmigkeitsbewegung des östlichen Judentums, zeigt, wie sehr auch hier die Freude mit dem Alltag, mit der Erfahrung des Augenblicks verbunden ist: Ein Schüler bittet seinen Rabbi, zu einem Zaddik in einer anderen Stadt fahren zu dürfen, um von ihm Thora zu lernen. Er versucht ihn zu finden und wird schließlich an einen Schankwirt in einer Kneipe verwiesen. Der Zaddik steht - und hier ist die Geschichte durchaus zenbuddhistisch - hinter der Theke und wäscht Gläser aus. Er bittet den Jungen, ihm zu helfen, Tag für Tag, bis der Schüler am Freitagabend in sein Dorf zurückfährt. Er habe gar nichts gelernt, nur Gläser ausgewaschen, erzählt er seinem Rabbi. Der sagt ihm: »Ja weißt du denn nicht, wenn er die Gläser reinigt, reinigt er die Welt und macht so die Funken frei, die in der beschmutzten Materie sind, und führt sie in die Weltseele zurück.« Mit dieser Geschichte möchte ich nun noch einmal zu unserer Ausgangsfrage zurück kehren: „Warum üben wir - und was üben nicht ist.“ Ich denke, dass mit dem bisher Gesagten wir eigentlich auf die Frage, was üben nicht ist gar nicht antworten können, denn alles, was uns begegnet, kann zur Übung werden und all jene Menschen, die bereit sind sich auf den Augenblick, auf das Jetzt einzulassen sind Übende, ob Schankwirte, Gaukler, reuelose Sünder; ob im Haushalt, auf dem Felde und im Garten oder im Kontakt mit den Menschen, die Mystiker aller Religionen kennen keinen Unterschied zwischen Heiligen und Sündern, zwischen Alltag und Heiligen Räumen. Sie wissen, dass es nur Menschen gibt, die in je ihrer Weise sich ins Leben ziehen lassen. Und genau um diese Übung geht es. Dazu eine letzte kleine Geschichte: Eine französische Marienlegende erzählt von einem Gaukler, der sein unstetes Leben aufgibt und ins Kloster geht. Aber das Leben der Mönche bleibt ihm fremd, er weiß weder ein Gebet zu sprechen noch zu singen. Er klagt sein Leid der Jungfrau Maria, und sie fordert ihn auf Gott mit dem zu dienen, was er könne: Tanzen und Springen! Von da an verpaßt er alle Chorgebete, um in dieser Zeit zu tanzen. Er wird zum Abt gerufen und glaubt, verwiesen zu werden, aber der Abt sagt nur: »In deinem Tanz hast du Gott mit Leib und Seele geehrt. Uns aber möge er alle wohlfeilen Worte verzeihen, die über die Lippen kommen, ohne daß unser Herz sie sendet.« Genau um dieses Einswerden geht es auch in unserer Übung. Wir üben nicht “für” oder “um zu”, sondern dass unser Leben sich von innen her wandelt. Oft in einem langen und manchmal für den Einzelnen in einem kaum wahrnehmbaren Prozess. Aber mehr und mehr werden Geist und Körper und Leben zu einem Ausdruck des Dasein, das ganz selbstverständlich leben, fliessen kann. Und genau das üben wir, im Grunde, in allen Lagen unseres Tages. Und da ist der Tanz ein schönes Bild, eine gute Metapher für alles Lebendige. In der fernöstlichen Tradition gibt es keine Geschichte von der Entstehung der Welt, so wie wir sie aus der Bibel kennen, sondern da wird berichtet, dass Gott Shiwa die Welt tanzt. Im Tanz werden Körper und Seele zu einer Einheit. Tanz ist Ausdruck des reinen Seins, der Freude oder auch des Leides, der Trauer. Und gerade im Tanz finden Freude und Leid ihre konkrete Gestalt, um die Erfahrung von Glück und Freude, aber auch, um Leid und Schmerz einen Ausdruck zu geben, um sie dann auch zu überwinden, ins Leben zu integrieren. Der Tanz hat kein Ziel, ausser eben zu tanzen und da zu sein, sich in die Bewegung ziehen zu lassen, eins zu werden. Wenn wir tanzen, tanzen wir nicht, um fertig zu werden, sondern wir tanzen um des Tanzes willen. So wird der Tanz Ausdruck der Freude, der Lebendigkeit und des Lebens schlechthin. Symphonie und Tanz Erfahrungsbericht Du bist der Schöpfer der Symphonie und auch ihr Klang. Ich eine unverwechselbare Note, die erklingt und verklingt. Du bist der Tänzer und auch der Tanz. Ich dieser wirbelnde Tanzschritt im zeitlosen Jetzt. Du bist das Kommen und Gehen. Das Geborenwerden und Sterben. Warum Angst haben? Du tanzt und singst. Wirst geboren und stirbst. Wer sagt da Ich? Teisho 10/21 PA Von euch ist ein Thema für ein Teisho genannt worden, das ich sehr interessant finde und über das ich gerne ein paar Gedanken sagen möchte: „Warum wir üben - was üben nicht ist.“ Allein die Frage zeigt schon einen sehr interessanten Blickwinkel auf unsere Meditationspraxis. Bei meinen Einführungskursen in die Zen-Meditation mache ich zu Beginn immer eine kleine Eingangsrunde mit der Frage, warum Menschen sich für diesen Kurs angemeldet haben? Die Antworten sind sehr unterschiedlich - und dennoch bei aller Verschiedenheit ist ein Tenor da, der heisst, ich will zur Ruhe kommen, ich will entspannen, mein Arzt oder Therapeut hat mir gesagt, ich müsste/sollte meditieren, um aus meinem Stress raus zu kommen. Da sind Menschen, die zur Ruhe kommen wollen, ausspannen, entspannen, Raum für sich suchen und finden wollen. Beim Begriff Meditation assoziieren wir natürlich, Relaxtheit, mal nichts machen und rundum nur noch entspannen, ausruhen vom Alltag, vom Stress, der uns alle in je eigener Weise fordert und im Griff hat. Wir möchten gerne raus aus einer Welt der Unruhe und des Getriebenseins und diese uns unbarmherzig fordernde Welt hinter uns lassen. Manchmal ist diese Vorstellung auch mit einem Kämmerlein verbunden, in dem ich ganz für mich, abgeschirmt von der Welt, dem Alltag zur tiefen Ruhe und Glückseligkeit finden kann. Ich weiss nicht, ob es diesen Ort des Rückzuges und des seligen Glückes bei sich zu sein, jemals gab oder geben kann - ausser vielleicht in den Vorstellungen und Wünschen von gestressten Menschen. Ihr alle kennt es und wisst aus eigener Erfahrung davon, dass Zen-Meditation keine Wellness Veranstaltung à la Fernost ist. Was wir praktizieren ist ein Weg, den Menschen im Osten wie im Westen als einen mystischen, spirituellen Weg gegangen sind. Und wenn ich vom Praktizieren spreche, dann impliziert das ganz automatisch auch, was zu jeder Praxis gehört, das Üben. Die Übung ist wohl die Grundlage einer jeden spirituellen Praxis. Das Üben allein für mich zu Hause an meinem Meditationsplatz, in der Gruppe zusammen mit anderen - und vor allem im Alltag mit und bei den Menschen, die von Spiritualität, von Mystik keine Ahnung haben und auch nichts davon wissen wollen. Auf diese Übungen muss ich mich immer neu einlassen. Der Alltag - im Zen oft mit dem Begriff „Marktplatz“ beschrieben und der Rückzug auf meinen Meditationsplatz sind keine Gegensätze, sondern beide gehören zusammen. Beide sind Übungsplätze, die für unser Leben wichtig sind und die sich gegenseitig durchdringen. Und jeder Bereich kann auf diese Weise den anderen hilfreich befruchten. Und damit ist deutlich, die Ruhe und Gelassenheit, das Bei-mir-sein ist nicht nur eine Übung im Rückzug, sondern ebenso wichtig auch im alltäglichen Leben. Im Alltag werden wir immer wieder schnell von all dem, was so am „Wegesrand“ liegt und einen gewissen Aufforderungscharakter hat, von den Versuchen bei uns zu bleiben abgezogen. Wir alle kennen es wohl ganz gut, dass wir manche Dinge gleichzeitig tun, telefonieren und nebenbei kleine Handgriffe erledigen; manches, was wir bei einer Tätigkeit wahrnehmen auch gleich noch mit machen, weil es sich gerade anbietet usf. Und so ist unsere Übung im Alltag, einfach einmal ganz ruhig bei mir und dem zu bleiben, was ich gerade tue: Auf meinem Meditationsplatz, in der Stille dieses ruhige bei mir sein zu üben. Und dann diese Übung mit in den Tag zu nehmen in jeden Handgriff, in die Begegnungen mit Menschen, in all dessen, was am Tag zu erledigen ist. Dieses ruhig bei mir bleiben übe ich jeden Tag. Und da merke ich schon, wie schwierig es ist, mich nicht immer wieder von den vielen verschiedenen Gedanken und Eindrücken, Erinnerungen, Bildern, Befürchtungen …. abziehen zu lassen, sondern einfach nur ganz ruhig bei mir und dem Augenblick, den Atemzug jetzt, zu bleiben oder eben auch bei dem zu sein, was gerade an Lebendigkeit mir begegnet. Dieses JETZT, dieser Augenblick ist in allen mystischen Traditionen des Ostens und des Westens wichtig. In der westlichen Tradition sprechen die Mystiker, vor allem Meister Eckehart vom „NU“. In diesem Augenblick, in diesem „NU“ gibt es keine Zeit mehr, reines, einfaches Dasein geschieht dann. Menschen haben es immer wieder erfahren, dass immer dann, wenn es ihnen gelingt, in den Augenblick zu kommen, dass dann die verschiedenen Zeitdimensionen ihre bannende, bindende Kraft verlieren können. Angst, Sorge, Erwartungen, Berechnungen, wie es wohl werden wird, werden könnte, die uns manchmal so sehr in die Enge treiben, verlieren ihre lähmende Kraft und wir finden uns mit einem Male in einem Jetzt, dessen lösende Kraft uns zufliesst. Es gibt die schön Zen-Geschichte von Meister Ikkyu, den ein Schüler nach dem Wichtigsten des Zen Weges fragte und wohl vom Meister kluge spirituelle Weisungen und Erklärungen erwartete. Meister Ikkyu aber nahm seinen Pinsel und schrieb das Wort: AUFMERKSAMKEIT Ist das alles?, fragte der Mann. Kannst du nicht noch etwas mehr dazu sagen? Daraufhin nahm der Meister wieder seinen Pinsel und schrieb wieder das Wort AUFMERKSAMKEIT.AUFMERKSAMKEIT. Der Mann wandte sich enttäuscht ab und sagte, in dem was du da schreibst kann ich weder Freiheit noch Tiefe erkennen. Da nahm Ikkyu noch einmal seinen Pinsel und schrieb dreimal hintereinander: AUFMERKSAMKEIT.AUFMERKSAMKEIT.AUFMERKSAMKEIT. Ärgerlich fragte der Mann, was soll dieses Wort AUFMERKSAMKEIT denn bedeuten? Ikkyu antwortete AUFMERKSAMKEIT bedeutet AUFMERKSAMKEIT. Der grosse vietnamesische Zen Meister Thich Nhat Hanh hat mit und bei seinen Schülern die ACHTSAMKEIT geübt. Achtsamkeit und Aufmerksamkeit sind wohl synonyme Begriffe für die Übung, um die es geht. Bei Thich Nhat Hanh spielt neben der Zen-Übung auf dem Sitzkissen die Gehmeditation eine wichtige Rolle aber auch das alltägliche Tun, die einfachen Arbeiten im Haus und im Garten sind bei ihm wichtige Orte des Übens. Die meditative Übung und der Alltag gehören für ihn zusammen, so lehrt er das Zen. Und so sagt er z.B. “Es gibt zwei Arten, das Geschirr abzuwaschen: Die erste ist, das Geschirr zu spülen, um sauberes Geschirr zu haben, und die zweite ist, das Geschirr zu spülen, um das Geschirr zu spülen.“ Das ist es auch, was Meister Eckehart mit dem „NU“ oder in einer anderen Redewendung, die er immer wieder gebraucht, „sundern warumbe“, ohne warum zu sein, meint. Von Theresa von Avila wird berichtet, dass sie die Nonnen, die sich der spirituellen Übung der Levitation hingaben aus der Kirche holte und sie in die Küche schickte: „Auf ihr faulen Weiber geht an die Töpfe und Pfannen!“ In einem Text, der Theresa zugeschrieben wird, wird das eben Beschriebene noch einmal konkretisiert: Herr der Töpfe und Pfannen, ich habe keine Zeit, eine Heilige zu sein, Und dir zum Wohlgefallen in der Nacht zu wachen. Auch kann ich nicht meditieren in der Morgendämmerung Und im stürmischen Horizont. Mach´ mich zu einer Heiligen, Indem ich Mahlzeiten zubereite und Teller wasche. Nimm an meine rauen Hände, weil sie für dich rau geworden sind. Kannst du meinen Spüllappen als einen Geigenbogen gelten lassen, der himmlische Harmonie hervorbringt auf einer Pfanne? Sie ist so schwer zu reinigen und, ach, so abscheulich. Hörst du, lieber Herr, die Musik, die ich meine? Die Stunde des Gebetes ist vorbei, bis ich mein Geschirr vom Abendessen gespült habe, und dann bin ich sehr müde. Wenn mein Herz noch am Morgen bei der Arbeit gesungen hat, ist es am Abend schon längst vor mir zu Bett gegangen. Herr der Töpfe und Pfannen, bitte, darf ich dir, statt gewonnener Seelen, die Ermüdung anbieten, die mich ankommt beim Anblick von Kaffeesatz und angebrannten Kochtöpfen. Erinnere mich an alles, was ich leicht vergesse, nicht nur um Treppen zu sparen, sondern dass mein vollendet gedeckter Tisch ein Gebet werde. Im Zen haben wir das gleiche so beschrieben: Alltag ist der Weg (Mumonkan Nr. 19) Jôshû fragte Nansen in allem Ernst: „Was ist der WEG?" Nansen antwortete: „Der alltägliche Geist ist der WEG." Jôshû fragte: „Soll ich mich selbst darauf ausrichten oder nicht?" Nansen sagte: „Wenn du versuchst, dich ihm zuzuwenden, wendest du dich von ihm ab." Jôshû fragte: „Wenn ich nicht versuche, mich ihm zuzuwenden, wie kann ich wissen, daß es der WEG ist?" Nansen antwortete: „Der WEG hat nichts zu tun mit Wissen oder Nicht-Wissen. Wissen ist Illusion. Nicht-Wissen ist ohne Bewusstsein. Wenn du den zweifelsfreien, wahren WEG wirklich erreicht hast, wirst du ihn erfahren als grenzenlos und leer wie den Weltraum. Wie kann man darüber sprechen auf einer Ebene von Richtig oder Falsch?" Bei diesen Worten war Jôshû plötzlich erleuchtet. Es geht im Westen wie im Osten, um die einfache Aufmerksamkeit in all den oft so banalen Dingen, die wir immer wieder zu verrichten haben. Wie einfach es auch gerade sein mag, was ich tue, vom Spülen über das Teetrinken, das Gehen, das Gespräch mit den anderen …… all das ist unsere Übung und sonst nichts. Thich Nhat Hanh hat dazu geschrieben: „Wenn du von deinem Kummer fortgetragen wirst, von deiner Angst, deiner Wut, dann kannst du auch nicht wirklich dasein für die Menschen und die Dinge, die du liebst.“ Das ist ein Aspekt. Einen anderen habe ich vorhin schon angedeutet, nämlich, dass aus dem Erleben der Gegenwärtigkeit eine grosse Erfahrung von Glück und Glückseligkeit entstehen kann. Marguerite Porete beschreibt diese Erfahrung so: Solch eine Seele schwimmt im Meer der Liebe, das ist im Meer des Entzückens, das von der Gottheit herabströmt. Sie fühlt keine Freude, denn sie selbst ist Freude und schwimmt und fließt in der Freude, ohne sie zu empfinden. Denn sie bewohnt die Freude, und Freude bewohnt sie. Ganz in den Augenblick, ins Jetzt zu kommen, schafft gerade das Erleben von Freude und grosser, tiefer Verbundenheit mit allem, was ist und entspringt allein aus dieser Präsenz. Auch hier haben wir es wieder, es ist keine besondere Freude, die an irgendetwas gebunden ist, sondern es ist die tiefe Freude an der Freude, um es mit Meister Eckehart zu sagen, „sundern warumbe“, die erfahren wird. Die aber auf der anderen Seite ganz tief in und mit unserem Leben, unserem Alltag verbunden ist - und die auch jenseits von irgendwelchen Wahrheiten oder Richtigkeiten liegt. Im Chassidismus wird dieses sich freuen am Leben auch immer wieder thematisiert. Eine kleine Geschichte macht es deutlich, wie voraussetzungslos die Freude ist, sein kann: Der Seher von Lublin kannte einen großen Sünder, mit dem er sich immer wieder gern und lang unterhielt. Als die Leute der Gemeinde daran Anstoß nahmen und vorzubringen wagten: »Rabbi, wie duldet Ihr solch einen Menschen in Eurer Gegenwart?« bekamen sie zur Antwort: »Ich weiß, was ihr wißt. Aber was kann ich tun? Ich liebe die Freude und hasse die Trübsal. Und dieser Mann ist ein so großer Sünder; sogar unmittelbar nach der sündigen Handlung, wo doch sonst alle, und sei es auch nur ein Weilchen, zu bereuen pflegen, sei es auch nur, um sich alsbald wieder ihrer Torheit zu ergeben, widersteht er der Schwermut und bereut nicht. Und die Freude zieht mich an.« Eine andere kleine Geschichte aus dem Chassidismus, also der besonderen Frömmigkeitsbewegung des östlichen Judentums, zeigt, wie sehr auch hier die Freude mit dem Alltag, mit der Erfahrung des Augenblicks verbunden ist: Ein Schüler bittet seinen Rabbi, zu einem Zaddik in einer anderen Stadt fahren zu dürfen, um von ihm Thora zu lernen. Er versucht ihn zu finden und wird schließlich an einen Schankwirt in einer Kneipe verwiesen. Der Zaddik steht - und hier ist die Geschichte durchaus zenbuddhistisch - hinter der Theke und wäscht Gläser aus. Er bittet den Jungen, ihm zu helfen, Tag für Tag, bis der Schüler am Freitagabend in sein Dorf zurückfährt. Er habe gar nichts gelernt, nur Gläser ausgewaschen, erzählt er seinem Rabbi. Der sagt ihm: »Ja weißt du denn nicht, wenn er die Gläser reinigt, reinigt er die Welt und macht so die Funken frei, die in der beschmutzten Materie sind, und führt sie in die Weltseele zurück.« Mit dieser Geschichte möchte ich nun noch einmal zu unserer Ausgangsfrage zurück kehren: „Warum üben wir - und was üben nicht ist.“ Ich denke, dass mit dem bisher Gesagten wir eigentlich auf die Frage, was üben nicht ist gar nicht antworten können, denn alles, was uns begegnet, kann zur Übung werden und all jene Menschen, die bereit sind sich auf den Augenblick, auf das Jetzt einzulassen sind Übende, ob Schankwirte, Gaukler, reuelose Sünder; ob im Haushalt, auf dem Felde und im Garten oder im Kontakt mit den Menschen, die Mystiker aller Religionen kennen keinen Unterschied zwischen Heiligen und Sündern, zwischen Alltag und Heiligen Räumen. Sie wissen, dass es nur Menschen gibt, die in je ihrer Weise sich ins Leben ziehen lassen. Und genau um diese Übung geht es. Dazu eine letzte kleine Geschichte: Eine französische Marienlegende erzählt von einem Gaukler, der sein unstetes Leben aufgibt und ins Kloster geht. Aber das Leben der Mönche bleibt ihm fremd, er weiß weder ein Gebet zu sprechen noch zu singen. Er klagt sein Leid der Jungfrau Maria, und sie fordert ihn auf Gott mit dem zu dienen, was er könne: Tanzen und Springen! Von da an verpaßt er alle Chorgebete, um in dieser Zeit zu tanzen. Er wird zum Abt gerufen und glaubt, verwiesen zu werden, aber der Abt sagt nur: »In deinem Tanz hast du Gott mit Leib und Seele geehrt. Uns aber möge er alle wohlfeilen Worte verzeihen, die über die Lippen kommen, ohne daß unser Herz sie sendet.« Genau um dieses Einswerden geht es auch in unserer Übung. Wir üben nicht “für” oder “um zu”, sondern dass unser Leben sich von innen her wandelt. Oft in einem langen und manchmal für den Einzelnen in einem kaum wahrnehmbaren Prozess. Aber mehr und mehr werden Geist und Körper und Leben zu einem Ausdruck des Dasein, das ganz selbstverständlich leben, fliessen kann. Und genau das üben wir, im Grunde, in allen Lagen unseres Tages. Und da ist der Tanz ein schönes Bild, eine gute Metapher für alles Lebendige. In der fernöstlichen Tradition gibt es keine Geschichte von der Entstehung der Welt, so wie wir sie aus der Bibel kennen, sondern da wird berichtet, dass Gott Shiwa die Welt tanzt. Im Tanz werden Körper und Seele zu einer Einheit. Tanz ist Ausdruck des reinen Seins, der Freude oder auch des Leides, der Trauer. Und gerade im Tanz finden Freude und Leid ihre konkrete Gestalt, um die Erfahrung von Glück und Freude, aber auch, um Leid und Schmerz einen Ausdruck zu geben, um sie dann auch zu überwinden, ins Leben zu integrieren. Der Tanz hat kein Ziel, ausser eben zu tanzen und da zu sein, sich in die Bewegung ziehen zu lassen, eins zu werden. Wenn wir tanzen, tanzen wir nicht, um fertig zu werden, sondern wir tanzen um des Tanzes willen. So wird der Tanz Ausdruck der Freude, der Lebendigkeit und des Lebens schlechthin. Symphonie und Tanz Erfahrungsbericht Du bist der Schöpfer der Symphonie und auch ihr Klang. Ich eine unverwechselbare Note, die erklingt und verklingt. Du bist der Tänzer und auch der Tanz. Ich dieser wirbelnde Tanzschritt im zeitlosen Jetzt. Du bist das Kommen und Gehen. Das Geborenwerden und Sterben. Warum Angst haben? Du tanzt und singst. Wirst geboren und stirbst. Wer sagt da Ich?
von Matthias Uhlich 08 März, 2021
Labyrinth Wir alle sind auf dem spirituellen Weg. Aber wie würde denn, wenn man sich den Weg, den wir gehen, einmal idealtypisch vorstellt, dieser aussehen? Wäre es eine Gerade, die vom Punkt A nach Punkt B führt? Wäre es eine Strecke mit vielen Kurven, Windungen, Sackgassen? Wäre es ein grosses Auf und Ab? Oder fühlen sich manche eher wie in einem Irrgarten, in dem man nicht weiss, was einen denn bei der nächsten Biegung erwartet - und wo man nicht sicher ist, ob und wie man je wieder aus dem Ganzen raus kommt? In der Barockzeit war dieser Irrgarten ein beliebtes Spiel der Reichen und Schönen. Oftmals wird synonym zum Begriff Irrgarten umgangssprachlich auch der Begriff Labyrinth verwendet. Wenn jemand nicht ein noch aus weiss, fühlt er sich wie in einem Irrgarten. Ein Labyrinth ist aber etwas ganz anderes als ein Irrgarten. Hier haben wir es mit einer ganz alten Form von der Darstellung eines spirituellen Weges zu tun.
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Chan-Texte (Hsin Tao)

Hier dürfen wir für Sie die monatlichen Lehrreden von Chan-Meister Hsin Tao, exklusiv auf Deutsch übersetzt, veröffentlichen!
von Shihfu Hsin Tao 02 Apr., 2024
Hsin Tao: Lehrrede
von Shihfu Hsin Tao 19 Feb., 2024
Hsin Tao: Lehrrede
von Shihfu Hsin Tao 05 Juli, 2023
Hsin Tao: Lehrrede Juli 2023
von Shihfu Hsin Tao 21 Apr., 2023
Hsin Tao: Lehrrede April 2023
von Shihfu Hsin Tao 11 Apr., 2023
Hsin Tao: Lehrrede April 2023
von Shihfu Hsin Tao 17 Jan., 2023
Wir nehmen dankbar Abschied von Liaoyi-shih, die nach langer Krebs-Erkrankung am Morgen des 6. Januar friedlich in das Licht des ewigen Gesichts eingegangen ist. Sie hatte Chan in Deutschland und Österreich ganz freudig und unermüdlich unterstützt. Bitte bewahrt sie im Herzen und Euren Gebeten. 覺性光明界中息 Im Licht unserer Erleuchtungsnatur ruhen Chan Meditation bedeutet, die Natur unseres Herzens und Geistes zu verstehen. Wie die Sonne, ist die Natur unseres Herzens und Geistes klar und hell; sie ist so leer und weit wie der Himmel und so leuchtend wie die Sonne. Lasst uns daher diese leere und leuchtende Natur unseres Herzens und Geistes erkennen, erfahren und realisieren. In Wirklichkeit ist jeder unserer Gedanken verwirrt, und dennoch ist inmitten unserer Verblendung und unserem Anhaften immer noch die Weisheit unserer ursprünglichen Erleuchtungsnatur vorhanden. Nichtsdestotrotz werden unsere Illusionen und das Anhaften zu einer Art “Ablenkung” für uns. Diese Ablenkung beinhaltet jedoch Leid, da wir unsere Illusionen und das Leiden für die Wirklichkeit halten. Da unser Geist zu vieles produziert, wissen wir zu guter Letzt gar nicht mehr, wer wir sind. Wir müssen einfach unsere sechs Sinne und unseren Geist ganz entspannen, um das Licht unserer Herzensnatur aufscheinen zu lassen. Daher müssen wir unsere Gedanken immer wieder entspannen. Wenn wir uns nicht zu viele Gedanken um etwas machen, gibt es Klarheit. Aber wenn wir anfangen, uns Gedanken zu machen, entstehen Verunreinigungen. Unser ursprüngliches Gesicht ohne Form erscheint ganz nackt im Jetzt, und unser wundersames Herz ist klar und leuchtend. Daher benutzen wir die vier Schritte der Friedensmeditation, um unsere klare Konzentration aufrecht zu erhalten und dadurch dieses Licht, diese Leere zu erkennen. Dies bedeutet, dass wir die vier Schritte dazu verwenden, mit der Natur unseres erleuchteten Bewustseins eins zu werden. “Eins werden” setzt sich aus zwei Schriftzeichen zusammen: polieren und vereinen. Polieren bedeutet, klar zu erkennen, und vereinen bedeutet, Nicht-Zweiheit zu realisieren. Unsere Illusionen sind wie Bienen, die eifrig im Bienenstock ein- und ausfliegen, und daher müssen wir “im Bereich des Lichtes unseres Bewusstseins ruhen.” In der Klarheit und Leere unseres Bewusstseins verschwinden alle Illusionen und Verhaftungen ganz von selbst, so dass wir im unveränderlichen Licht verweilen. Unser ruhiges Verweilen wird Nirvana genannt. Nirvana bedeutet, dass unser Geist weder entsteht noch vergeht, dass er sich nicht nach den Phänomenen richtet, dass er ihnen nicht folgt. Erkennen wir unser ursprüngliches Gesicht und bewahren wi r es im Bewusstsein – unser ursprüngliches Selbst, das weder geboren noch zerstört wird. Es ist wie die Leere, die Sonne, das Licht der Leere. Betrachtet immer die Tatsache, dass unsere Erleuchtungsnatur keine Form oder Gestalt hat, dass sie nicht materiell ist, sondern klar und leuchtend. Dharma Master Hsin Tao (übersetzt von Maria Reis Habito)
von Shihfu Hsin Tao 25 Okt., 2022
Hsin Tao: Lehrrede oktber 2022
von Shihfu Hsin Tao 17 Sept., 2022
Hsin Tao: Lehrrede September 2022
von Shihfu Hsin Tao 23 Mai, 2022
悟」什麼? Was “realisieren” wir? Wenn wir im Buddhismus über die “Erleuchtung” sprechen, was “realisieren” wir durch sie? Die “Erleuchtung” hat zwei Aspekte. Der erste ist zu verstehen, dass alle “Bedingungen ” durch unseren Geist geschaffen werden. “Bedingungen” bedeutet all die unterschiedlichen Dinge und Phänomenene, die wir wahrnehmen, wenn wir unsere Augen öffnen. “Bedingungen” sind Phänomene. Wir wissen nicht, woher ein gewisses Phänomen kommt, wohin es geht oder wie es entsteht. All die unterschiedlichen Dinge, die wir sehen, wie zum Beispiel Berge, Flüsse und die weite Erde, Blumen und Gräser, die Meerestiere, das Meer und der Himmel, sind so vielfältig. Aber haben wir keine Ahnung, wo sie herkommen. Das ist es, was wir durch die “Erleuchtung” herausfinden müssen.
 Der zweite Aspekt ist, unsere Buddha-Natur klar zu realisieren. Wir wissen nicht, wann dieser unser Körper sterben oder was nach dem Tod geschehen wird. Wird da überhaupt nichts sein? Oder wird es eine andere Wiedergeburt geben? Das ist der Grund, weshalb wir erkennen müssen, dass dieser Körper ohne inhärentes Sein ist, aber dass unsere Buddha-Natur ohne Form oder Gestalt vorhanden ist. Wir müssen auch erkennen, dass alle Dinge durch Ursachen und Bedingungen entstehen, und dass alles von Natur aus leer ist. Wir müssen wirklich die unterschiedlichen Dinge, die wir vor uns sehen, klar verstehen. Warum hat der Buddha gesagt, dass sie leer sind? War das eine Täuschung? Das ist, was wir durchschauen müssen. Wir müssen auch das Folgende klären: Ist dieses “Ich” wirklich nicht sterblich? Oder ist es etwas, das geboren wird und dann stirbt? Wir können nur dann von einer anfänglichen Erleuchtung sprechen, wenn wir den Punkt erreicht haben, an dem wir erkennen, dass unsere wahre Geistesnatur unsterblich ist. Frage: Woher kommen wir bei der Geburt und wohin gehen wir nach dem Tod?
 Unser Ziel im Studieren und Praktizieren des Buddhismus ist genau das, nämlich zu verstehen, woher wir bei der Geburt kommen und wohin wir nach dem Tod gehen. Meister Guangqin sagte: “Es gibt kein Kommen oder Gehen. Es geschieht überhaupt nichts.” “Kein Kommen oder Gehen” ist ein Ausdruck, der bedeutet, unser ursprüngliches Gesicht zu realisieren, nämlich frei von Leben und Tod, Entstehen und Vergehen zu sein. Unser ursprüngliches Gesicht ist springlebendig – es wurde nie geboren und ist auch nie gestorben. Geburt bedeutet, dass Ursachen und Bedingungen zusammentreffen, und Tod bedeutet, dass Ursachen und Bedingungen wegfallen. Es gibt keinen Grund zur Sorge. Unsere Buddha-Natur wird niemals sterben. Dharma Master Hsin Tao übersetzt von Maria Reis Habito
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Weitere mystische Texte

Hier finden Sie weitere mystische Texte aus der Zen- bzw. Chan-Tradition, sowie z.B. auch aus der Kontemplation!
von Matthias Uhlich 02 Sept., 2020
Zu welchem Ufer willst du gelangen, mein Herz? Kabir Es gibt keinen Weg und niemand, der dir vorangeht. Was heißt schon Kommen und Gehen? An jenem Ufer kein Boot und kein Fährmann das Boot zu verankern. Da gibt es weder Himmel noch Erde, weder Zeit noch irgendein Ding, kein Ufer und keine Küste. Bedenke es wohl, mein Herz! Gehe nicht anderswohin. O, der du Mir dienst, wo suchest du Mich? Kabir Siehe, Ich bin bei dir. Ich bin weder im Tempel noch in der Moschee, weder in der Kaaba noch auf dem Kailash. Weder bin Ich in Riten und Zeremonien, noch in Yoga oder Entsagung. Wenn du ein wahrhaft Suchender bist, wirst du Mich sogleich sehen, Mir begegnen im gleichen Augenblick. Kabir sagt: O Sadhu! Gott ist der Atem allen Atems. Inschrift auf dem Grab von Mevlana Dschelaleddin Rumi Komm, komm, wo immer du gerade bist Komm, komm, wo immer du gerade bist! Wanderer, Andächtiger, Liebhaber des Abschieds. Es spielt keine Rolle. Unsere Karawane ist kein Ort der Verzweiflung. Komm, komm, selbst wenn du deine Gelübde schon tausendmal gebrochen hast. Komm, komm trotzdem wieder, Komm! Achte gut auf diesen Tag aus dem Sanskrit Achte gut auf diesen Tag denn er ist das Leben. Das Leben allen Lebens. In seinem kurzen Ablauf liegt alle Wirklichkeit und Wahrheit des Daseins. Die Wonne des Wachsens, die Größe der Tat und die Herrlichkeit der Kraft. Denn das Gestern ist nichts als ein Traum und das Morgen nur eine Vision. Das Heute jedoch - recht gelebt - macht jedes Gestern zu einem Traum voller Glück und jedes Morgen zu einer Vision voller Hoffnung. Drum achte gut auf diesen Tag! Dem unbekannten Gott Friedrich Nietzsche Noch einmal, eh ich weiterziehe Und meine Blicke vorwärts sende, Heb ich vereinsamt meine Hände Zu Dir empor, zu dem ich fliehe, Dem ich in tiefster Herzenstiefe Altäre feierlich geweiht, Dass allezeit Mich deine Stimme wieder riefe. Darauf erglüht tief eingeschrieben Das Wort: Dem unbekannten Gotte. Sein bin ich, ob ich in der Frevler Rotte Auch bis zur Stunde bin geblieben: Sein bin ich - und ich fühl die Schlingen, Die mich im Kampf darniederziehn Und, mag ich fliehn, Mich doch zu seinem Dienste zwingen. Ich will Dich kennen, Unbekannter, Du tief in meine Seele Greifender, Mein Leben wie ein Sturm Durchschweifender, Du Unfassbarer, mir Verwandter! Ich will Dich kennen, selbst Dir dienen. Ecce Homo Friedrich Nietzsche Ja! Ich weiß, woher ich stamme! Ungesättigt gleich der Flamme Glühe und verzehr' ich mich. Licht wird Alles, was ich fasse, Kohle Alles, was ich lasse: Flamme bin ich sicherlich. Wir bauen Bilder vor dir auf Rainer Maria Rilke Wir bauen Bilder vor dir auf wie Wände; so dass schon tausend Mauern um dich stehn. Denn dich verhüllen unsre frommen Hände, sooft dich unsre Herzen offen sehn. Stille Rainer Maria Rilke Wenn es nur einmal so ganz stille wäre. Wenn das Zufällige und Ungefähre verstummte und das nachbarliche Lachen, wenn das Geräusch, das meine Sinne machen, mich nicht so sehr verhinderte am Wachen - : Dann könnte ich in einem tausendfachen Gedanken bis an deinen Rand dich denken Und dich besitzen (nur ein Lächeln lang), um dich an alles Leben zu verschenken wie einen Dank.
von Matthias Uhlich 01 Sept., 2020
SHINJIN-MEI Verse über den Glaubensgeist von Seng-t'san Der höchste Weg ist nicht schwer, wenn du nur aufhörst zu wählen. Wo weder Liebe noch Hass, ist alles offen und klar. Aber die kleinste Unterscheidung bringt eine Distanz wie zwischen Himmel und Erde. Soll Es sich dir offenbaren, lass Abneigung wie Vorliebe beiseite. Der Konflikt zwischen Neigung und Abneigung ist eine Krankheit des Geistes. Wird diese tiefe Wahrheit nicht verstanden, versuchst du deine Gedanken vergeblich zu beruhigen. Der Weg ist vollkommen wie leerer Raum, ohne Mangel und ohne Überfluss. Nur wenn du wählst und zurückweist, geht das Sosein verloren. Jage nicht äußeren Erscheinungen nach, verharre auch nicht in der Erfahrung der Leerheit. Bleibe gelassen im Einen, und alle Verwirrung verschwindet von selbst. Stellst du das Tätigsein ein und kehrst zur Ruhe zurück, ist dieses Bemühen selbst nur wieder Tätigkeit. Wie willst du je das Eine erfahren, wenn du in die Zweiheit verstrickt bleibst? Wer ins Eine nicht vordringt, wird in keinem Bereich daheim sein. Existenz zu verachten heißt, Existenz zu verlieren. Der Leerheit zu folgen heißt, sich gegen die Leerheit wenden. 86 87 Wenn die Augen nie schlafen, hören die Träume von selbst auf. Wenn der Geist nicht unterscheidet, sind alle Dinge das eine Sosein. Das Wesen dieses einen Soseins ist ein Geheimnis: Unbewegt; alle karmischen Bindungen sind vergessen. Siehst du alle Dinge gleich, kehren sie heim zum natürlichen Sein: Ursachen verschwinden, Vergleiche sind nicht möglich. Bewege dich nicht, und die Bewegung hört auf. Bringe Ruhe in die Bewegung, und es gibt keine Ruhe. Wenn beide nicht sind, kann eines dann sein? Im Absoluten sind keine Regeln. Der Geist in Einklang mit ihm wird unparteiisch und hört auf zu planen und zu streben. Wenn Zweifel und Argwohn ausgeräumt, ist wahrer Glaube bestätigt und fest. Alle Dinge sind vergänglich, nicht notwendig, sie sich zu merken. Leer, klar und selbstleuchtend bemüht der Geist sich nicht. Das ist der Platz des Nichtdenkens, schwer auszuloten mit Intellekt und Gefühl. In der Dharmawelt des Soseins ist kein Anderes und kein Ich. Wenn man dich bittet, es sofort zu erklären, kannst du nur sagen: ,,Nicht-Zwei". Wenn ,,Nicht-Zwei", dann ist alles gleich, nichts, was nicht eingeschlossen wäre. Die Weisen der zehn Richtungen sind alle in diese Weisheit eingetreten. Der große Weg ist dem Wesen nach weit. Nichts ist leicht, nichts schwierig. Engherzige Ansicht führt zu Besorgnis. Je mehr du eilst, um so länger brauchst du. Hängst du an solchen Ansichten, verlierst du das Maß und gehst in die Irre. Lass los, und alles ist natürlich. In der Wesensnatur gibt es kein Kommen und Gehen. Handle gemäß deiner Natur, und du stimmst mit dem Weg überein, gehst ihn gelassen und frei ohne Sorge. Gedanken lenken ab von der Wahrheit. Aber ein dumpfer Geist bringt es auch nicht. Wenn du verabscheust, verwirrt sich der Geist. Was hilft es schon, für oder gegen etwas zu sein? Wenn du das eine Fahrzeug nehmen willst, hege keine Abneigung gegen die Welt der Sinne. In der Tat, wer die Sinneswelt nicht hasst, ist eins mit der wahren Erleuchtung. Der Weise hat keine Ziele, die Unwissenden lassen sich fesseln; denn obwohl es einen Unterschied zwischen den Dingen nicht gibt, bleiben sie an manchem hängen. Ist das nicht ein gewaltiger Fehler? Ruhe und Unruhe kommen aus der Illusion, Erleuchtung kennt weder Vorliebe noch Abneigung. Alle dualistischen Ansichten kommen aus falschen Schlüssen. Sie sind Träume, Phantasien und Flecken vor deinen Augen. Warum versuchst du, sie zu fassen? Gewinnen und verlieren, richtig und falsch, lass sie ein für allemal ziehen. HERZ SUTRA Maka Hannya Haramita Shin Gyo Sutra von der Vervollkommnung der Weisheit des Herzens Bodhisattva Avalokitesvara, in der Übung der tiefen transzendenten Weisheit erkannte, dass alle fünf Skandas leer sind, und überwand so alles Leiden. Sariputra, Form ist nichts anderes als Leere, Leere nichts anderes als Form. Form ist wirklich Leere, Leere wirklich Form. Das Gleiche gilt für Empfindung, Wahrnehmung, Wollen und unterscheidendes Denken. Sariputra, die Formen aller Dinge sind leer, sie entstehen nicht und vergehen nicht. Sie sind nicht rein und nicht unrein, nehmen nicht zu und nicht ab. Daher ist in der Leere keine Form, weder Empfindung, Wahrnehmung, Wollen oder unterscheidendes Denken, weder Auge, Ohr, Nase, Zunge oder Körper, weder Farbe, Ton, Duft oder Geschmack, weder Berührbares noch Vorstellung, weder ein Bereich der Sinnesorgane noch ein Bereich des Denkens, weder Unwissenheit noch Ende von Unwissenheit. MAKA HANNYA HARAMITA SHINGYO
von Matthias Uhlich 01 Sept., 2020
Gautama Buddha Ausschnitt aus seinen Reden: Die Entscheidungen werden vom Herzen angeführt, vom Herzen beherrscht, vom Herzen hervorgebracht. Wenn ihr mit verdorbenem Herzen sprecht oder handelt, folgt euch Leid - wie dass Rad des Wagens der Spur des Ochsen, der ihn zieht. Die Erscheinungen werden vom Herzen angeführt, vom Herzen beherrscht, vom Herzen hervorgebracht. Wenn ihr mit ruhigem, klarem Herzen sprecht oder handelt, folgt euch Glück, wie ein Schatten, der nie weicht. ÜBER ZEN Daio Kokushi Es gibt eine Wirklichkeit, die vor Himmel und Erde steht. Sie hat keine Form, geschweige denn einen Namen. Augen können sie nicht sehen. Lautlos ist sie, nicht wahrnehmbar für Ohren. Sie Geist oder Buddha zu nennen, entspricht nicht ihrer Natur, wie das Trugbild einer Blume wäre sie dann. Nicht Geist noch Buddha ist sie; vollkommen ruhig erleuchtet sie in wunderbarer Weise. Nur dem klaren Auge ist sie wahrnehmbar. Das Dharma ist sie und wirklich jenseits von Form und Klang. Das Tao ist sie, und Worte haben nichts mit ihr zu tun. In der Absicht, Blinde anzuziehen, ließ Buddha seinem goldenen Munde spielerische Worte entspringen; seitdem sind Himmel und Erde überwuchert mit dichtem Dornengebüsch. O meine lieben und ehrenwerten Freunde, die ihr hier versammelt seid: Wenn ihr euch danach sehnt, die donnernde Stimme des Dharma zu hören, gebt eure Worte auf, entleert eure Gedanken, dann kommt ihr so weit, das eine Sein zu erkennen. Ich bin Thich Nhat Hanh Sag nicht, dass ich morgen scheide, denn ich bin noch gar nicht ganz da. Schau: Jede Sekunde komme ich an, um zu werden die Knospe am Frühlingszweig, ein kleiner Vogel mit Flügeln, die noch nicht tragen, im neuen Nest lern ich gerade erst singen, ein Käfer im Herzen der Blume und ein Juwel, verborgen im Stein. Ich komme gerade erst an mit Lachen und Weinen, mit Furcht und mit Hoffnung, der Schlag meines Herzens ist die Geburt und der Tod von allem, was lebt. Ich bin die Eintagsfliege, die vielgestaltig schillert auf der Oberfläche des Flusses, Bin auch der Vogel, der im Frühling gerade noch rechtzeitig kommt, die Fliege zu schnappen. Ich bin der Frosch, der ganz zufrieden im klaren Wasser des Teichs hin- und herschwimmt, und bin die Schlange, die geräuschlos sich nähernd vom Froschfraß lebt. Ich bin das Kind aus Uganda, nur Haut und Knochen mit Beinen so dünn wie Stöcke aus Bambus und ich bin der Kaufmann, der tödliche Waffen nach Uganda verkauft.
von Matthias Uhlich 31 Aug., 2020
Der Weg nach Hause Johannes vom Kreuz Ich trat ein und wusst' nicht wo, und ich blieb auch ohne Wissen, alles Wissen übersteigend. Wo ich eintrat, wusst' ich nicht. Doch als ich mich dort gewahrte, ohne Kenntnis meiner Bleibe, hörte ich von großen Dingen. Was ich hörte, sag' ich nicht. Blieb ich doch ganz ohne Wissen, alles Wissen übersteigend. Frieden war's mit Gott und Welt, wovon ich zutiefst erfuhr ganz allein in meinem Herzen. Klar ward mir der rechte Weg. Alles war so voll Geheimnis, dass ich nur noch stammeln konnte, alles Wissen übersteigend. Trunken war ich, wie von Sinnen, hingerissen, außer mir. Blieb dabei doch mein Empfinden jeglicher Empfindung bar Und der Geist sah sich beschenket mit Verstehn, das nicht verstand, alles Wissen übersteigend. Jeder, der dorthin gelangt, wird ganz irre an sich selbst. Alles, was er vorher wusste, scheint ihm jetzt verschwindend klein. Und sein Wissen wächst so sehr, dass er ohne Wissen bleibt, alles Wissen übersteigend. Geh, verlass die Heimat Fridolin Stier Geh, verlass die Heimat, die Welt, darin du geboren bist, darin du dich eingerichtet hast - das Haus voll von den Namen der Dinge, die um dich sind, lass alles, was dir die Sprache über sie zu wissen gibt, lass auch alles, was dir die Wissenschaft über sie vorspricht, lass auch die Begriffe, mit denen du nach den Dingen greifst - lass dieses Haus hinter dir, geh! Dann wirst du, vielleicht wirst du dann dem Anderen begegnen, für das du weder Namen noch Wissen noch Begriffe hast, dem ur- und ingründig Wirklichen und Wirkenden begegnen. Du wirst - schauen - Dann ist kein Ding mehr, was es dir zuvor gewesen, ein jedes, eins um das andere, wird dir einen Namen sagen, den du nicht nachsprechen kannst. Und dann wird dir, vielleicht wird dir dann aus allem und jedem, das um dich ist, das Unnennbare erscheinen, und du wirst jene Stimme hören, die du noch nie gehört, sehr nah und gewaltig wirst du sie rufen hören: ICH BIN DA!
von Matthias Uhlich 31 Aug., 2020
Ein armer Mensch Meister Eckhart Ein armer Mensch ist der, der nichts will. Soll der Mensch Armut haben in Wahrheit, so muss er ledig da stehn von seinem eigenen Willen, wie er es war, als er noch nicht war. Da ich noch stand in meinem ersten Ursprung, da hatte ich keinen Gott, und da war ich Ursprung meiner selbst; da wollte ich nichts und begehrte ich nichts, denn ich war ein lediges Sein und erkannte mich selbst im Genusse der Wahrheit. Da wollte ich mich selber und wollte kein ander Ding, was ich wollte, das war ich, und was ich war, das wollte ich, und hier stand ich ledig von Gott und von allen Dingen. Darum so bitten wir Gott, dass wir Gottes ledig werden und dass wir empfangen die Wahrheit und sie genießen ewiglich, dort wo der oberste Engel und die Fliege und Seele gleich sind in dem, worin ich stand und worin ich wollte, was ich war und war, was ich wollte. So sagen wir denn: Soll der Mensch arm sein an Willen, so muss er so wenig wollen und begehren wie er wollte und begehrte, als er nicht war. Und in dieser Weise ist der Mensch arm, der nichts will. Predigt 32, „Beati pauperes spiritu" Greift in Euer eigenes Gut Meister Eckhart Die Leute sagen oft zu mir: "Bittet für mich!" Dann denke ich: "Warum geht ihr aus? Warum bleibt ihr nicht in euch selbst Und greift in euer eigenes Gut? Ihr tragt doch alle Wahrheit wesenhaft in euch." ...und es gebiert der Vater seinen Sohn in der Seele in derselben Weise, wie er ihn in der Ewigkeit gebiert und nicht anders. Er muss es tun, es sei ihm lieb oder leid. Der Vater gebiert seinen Sohn ohne Unterlass, und ich sage mehr noch: Er gebiert mich als seinen Sohn und als denselben Sohn. Ich sage noch mehr: Er gebiert mich nicht allein als einen Sohn; er gebiert mich als sich und sich als mich und mich als sein Sein und als seine Natur. Im innersten Quell, da quelle ich aus im Heiligen Geiste; Da ist ein Leben und ein Sein und ein Werk. Alles, was Gott wirkt, das ist Eins; Darum gebiert er mich als seinen Sohn ohne jeden Unterschied. Mein leiblicher Vater ist nicht eigentlich mein Vater, sondern nur mit einem kleinen Stückchen seiner Natur. Und ich bin getrennt von ihm; Er kann tot sein und ich leben. Darum ist der himmlische Vater in Wahrheit mein Vater, denn ich bin sein Sohn. In meiner (ewigen) Geburt wurden alle Dinge geboren, und ich war Ursache meiner selbst und aller Dinge; und hätte ich gewollt, so wäre weder ich noch wären alle Dinge; wäre aber ich nicht, so wäre auch "Gott" nicht. Dies zu wissen ist nicht not. Ursache meiner selbst Meister Eckhart Darum bitte ich Gott, dass er mich Gottes quitt mache, denn mein wesentliches Sein ist oberhalb von Gott, sofern wir Gott als Beginn der Kreaturen verstehen. Denn in demselben Sein Gottes, in dem Gott über allem Dasein und über aller Unterschiedenheit steht, da war ich selbst, da wollte ich mich selbst, und da erkannte ich mich selbst, diesen Menschen zu schaffen. Darum bin ich meinem Sein nach, welches ewig ist, Ursache meiner selbst, nicht aber aufgrund dessen, was ich erst geworden bin, denn das ist zeitlich. Und darum bin ich ungeboren, und darum kann ich niemals sterben. Aufgrund meines Ungeborenseins bin ich ewig gewesen und bin jetzt und werde ewig bleiben. Was ich durch meine Geburt bin, das wird sterben und zunichte werden, denn es ist vergänglich. Darum muss es mit der Zeit vergehen. In meiner Geburt wurden alle Dinge geboren, und ich war Ursache meiner selbst und aller Dinge. Und hätte ich gewollt, so wäre weder ich, noch wären alle Dinge, und wäre ich nicht, so wäre auch Gott nicht. Dass Gott Gott ist, dafür bin ich Ursache. In meiner Geburt wurden alle Dinge geboren, und ich war Ursache meiner selbst meinem Sein nach, das ewig ist...
von Matthias Uhlich 21 Aug., 2020
"Das Pferd macht den Mist im Stalle" - Johannes Tauler Das Pferd macht den Mist im Stalle. Und obgleich der Mist ein Unflat und Stank an sich hat, so zieht dasselbe Pferd dort den Mist mit großer Mühe auf das Feld: Und dann wächst daraus edler schöner Keim, der nimmer so wüchse, wäre der Mist nicht da. Also trage deinen Mist mit Müh und Fleiß Auf den Acker des liebreichen Willens Gottes in rechter Gelassenheit mit Deiner selbst. 
 "Gelassenheit" - Johannes Tauler Hätten alle Teufel und alle Menschen sich verschworen, und würde der Mensch alles erleiden und sich lassen und diese Finsternis und Bedrängnis aushalten, wie es ihn auch schmerzen und bedrücken mag, und würde er keine Ausflüchte suchen, so oder so, darin nähme er mehr zu und käme weiter als in all den äußeren Übungen, die die ganze Welt zusammen tun könnte. Bleibe nur bei dir selber und lauf nicht nach außen und halte dein Leiden aus und suche nicht etwas anderes! - So laufen etliche Menschen, wenn sie in dieser inwendigen Armut stehen, um immer etwas anderes zu suchen und dadurch der Bedrängnis zu entgehen. Das ist gar schädlich. Oder sie gehen, um zu klagen oder um Lehrmeister zu fragen, und geraten noch mehr in die Irre. 
 Da kommen einige und reden von so grossen, geistigen, überwesentenlichen, überformlichen Dingen, gerade als wären sie über die Himmel geflogen. Und dabei kamen sie noch nie einen Schritt aus sich selber durch die Erkenntnis ihres eigenen Nichts. 
 Sie mögen wohl zu vernünftiger Wahrheit gelangt sein; aber zur lebendigen Wahrheit, wo die Wahrheit Wahrheit ist, dazu gelangt niemand, als auf diesem Weg des eigenen Nichts.
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